Wallander 06 - Die fünfte Frau
hatte. »Hast du die geringsten Spuren entdeckt, die andeuten könnten, daß er Widerstand zu leisten versucht hat, als er an den Baum gebunden wurde? Oder hat er versucht, sich zu befreien?«
Nybergs Antwort kam ohne Zögern. »Nein«, sagte er.»Danach sieht es nicht aus. Erstens habe ich keine Spuren eines Kampfes in der Nähe gefunden. Der Boden müßte aufgewühlt sein. Irgend etwas hätte man sehen müssen. Zweitens gibt es weder am Baum noch am Seil Schabspuren. Er ist da angebunden worden. Und er hat stillgehalten.«
»Wie erklärst du das?«
»Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten«, antwortete Nyberg. »Entweder war er bereits tot oder zumindest bewußtlos, als er festgezurrt wurde. Oder er hat es vorgezogen, keinen Widerstand zu leisten. Aber das kommt mir wenig wahrscheinlich vor.«
Wallander dachte nach. »Es gibt noch eine dritte Möglichkeit«, sagte er dann. »Daß Gösta Runfelt einfach keine Kraft hatte, sich zu wehren.«
Nyberg stimmte zu. Das war auch eine Möglichkeit, vielleicht die wahrscheinlichste.
»Laß mich noch etwas fragen«, fuhr Wallander fort. »Ich weiß, daß du nicht antworten kannst. Aber man stellt sich ja immer vor, wie es zugegangen sein könnte. Niemand rät so viel und so oft wie Polizisten. Obwohl wir es immer hartnäckig abstreiten. War mehr als eine Person anwesend?«
»Ich habe daran gedacht«, sagte Nyberg. »Vieles spricht dafür, daß es mehr als eine Person gewesen sein muß. Einen Menschen in den Wald zu schleppen und an einen Baum zu binden kann nicht ganz einfach sein. Aber ich bezweifle es.«
»Warum?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.«
»Wenn wir noch einmal zu dem Graben in Lödinge zurückkehren, was für ein Gefühl hattest du da?«
»Das gleiche. Es müßte mehr als einer gewesen sein. Aber ich bin nicht sicher.«
»Ich teile dein Gefühl«, sagte Wallander. »Aber es stört mich.«
»Ich glaube auf jeden Fall, daß wir es mit einer Person zu tun |191| haben, die über gehörige Körperkräfte verfügt. Vieles spricht dafür.«
Mehr der Form halber fragte Wallander abschließend: »Sonst nichts?«
»Ein paar alte Bierdosen und ein falscher Fingernagel. Das ist alles.«
»Ein falscher Fingernagel?«
»Frauen benutzen so was. Aber der kann schon lange dagelegen haben.«
»Versuch jetzt, ein paar Stunden zu schlafen«, sagte Wallander.
»Wann sollte ich denn dafür Zeit haben?« fragte Nyberg.
Wallander spürte, daß er plötzlich gereizt klang. Er beeilte sich, das Gespräch zu beenden. Unmittelbar danach klingelte sein Telefon. Es war Martinsson.
»Kann ich rüberkommen?« fragte er. »Wann ist unsere Besprechung?«
»Um neun. Wir haben Zeit.«
Wallander legte auf. Er hatte den Eindruck, daß Martinsson auf etwas gekommen war. Er fühlte die Spannung. Was sie jetzt vor allem brauchten, war ein echter Durchbruch in der Ermittlung. Martinsson kam herein, setzte sich auf Wallanders Besucherstuhl und kam sofort zur Sache.
»Ich habe noch mal über diese Geschichte mit den Söldnern nachgedacht«, sagte er. »Und über Harald Berggrens Tagebuch aus dem Kongo. Heute morgen, als ich wach wurde, ist mir eingefallen, daß ich einmal jemanden getroffen habe, der zur gleichen Zeit im Kongo war wie Harald Berggren.«
»Als Söldner?« fragte Wallander erstaunt.
»Nicht als Söldner. Sondern als Mitglied der schwedischen U N-Truppe . Sie sollten die belgischen Truppen in der Provinz Katanga entwaffnen.«
Wallander schüttelte den Kopf. »Ich war zwölf, dreizehn, als das passierte«, sagte er. »Ich erinnere mich an so wenig von damals. Im großen und ganzen weiß ich nicht mehr, als daß Dag Hammarskjöld mit einem Flugzeug abgestürzt ist.«
»Ich war damals kaum geboren«, sagte Martinsson. »Aber ein bißchen weiß ich noch aus der Schule.«
|192| »Du hast gesagt, du hättest jemanden getroffen?«
»Vor ein paar Jahren habe ich an verschiedenen Treffen der Folkparti teilgenommen«, sagte Martinsson. »Hinterher war immer so ein gemütliches Beisammensein mit Kaffee. Ich habe mir damals den Magen verkorkst von dem ganzen Kaffee.«
Wallander trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Schreibtisch.
»Bei einem dieser Treffen saß ich neben einem Mann von ungefähr sechzig. Wie wir darauf kamen, weiß ich nicht mehr. Aber er erzählte, er wäre Hauptmann und der Adjutant von General von Horn gewesen, der die schwedische U N-Truppe im Kongo befehligte. Und ich erinnere mich auch, daß er Söldner erwähnte, die dort unten
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