Wallander 07 - Mittsommermord
ihm das Teleskop gefunden.«
»Solange keiner als Hauptverdächtiger bezeichnet worden ist, wiegen alle Indizien gleich viel«, sagte Wallander. »Das ist eine alte, strapazierte Wahrheit, die aber eine gewisse Berechtigung hat.«
Er stand auf. »Seht zu, daß Hansson über dies alles informiert wird«, sagte er und verließ den Raum.
Es war nach halb sechs. Seit dem Morgen hatte er nichts als ein paar Zwiebäcke gegessen. Der Gedanke daran, nach Hause zu gehen und Essen zu machen, schreckte ihn ab. Statt dessen fuhr er zum Chinarestaurant am Stortorg. Während er auf sein Essen wartete, trank er ein Starkbier. Zum Essen noch eins. Wie üblich aß er zu schnell. Er wollte schon einen Nachtisch bestellen, besann |331| sich aber. Danach fuhr er nach Hause. Es war ein warmer Abend. Er machte die Balkontür auf. Dreimal versuchte er, Linda anzurufen, aber es war ständig besetzt. Er war zu müde, um zu denken. Der Fernseher lief ohne Ton. Er legte sich aufs Sofa und starrte an die Decke. Kurz vor neun klingelte das Telefon. Es war Lisa Holgersson.
»Ich fürchte, wir haben ein Problem«, sagte sie. »Thurnberg war nach eurem Streit bei mir.«
Wallander verzog das Gesicht. Er wußte, was jetzt kommen würde. »Er war wahrscheinlich wütend, weil ich ihn angemotzt habe. Mit der Faust auf den Tisch geschlagen und ihm eine Szene gemacht.«
»Es ist schlimmer«, meinte sie. »Er stellt deine Kompetenz in Frage, die Ermittlung zu leiten.«
Wallander war überrascht. Er hatte nicht gedacht, daß Thurnberg so weit gehen würde.
Eigentlich müßte er wütend werden. Doch statt dessen bekam er Angst. Daß ihm selbst häufig, und vielleicht sogar in zunehmendem Maße, der Gedanke gekommen war, der Leitung einer Ermittlung nicht gewachsen zu sein, war eine Sache. Doch daß seine inneren Vorbehalte sich plötzlich in eine äußere Bedrohung verwandelten und er seiner leitenden Position enthoben werden könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen.
»Und was für sachliche Gründe hatte er?«
»In erster Linie sind es formale Gründe. Vor allem hält er es für ein gravierendes Versäumnis, daß er über den Fortgang der Ermittlungen nicht in allen Einzelheiten auf dem laufenden gehalten worden ist.«
Wallander protestierte. Was hätten sie eigentlich tun können?
»Ich informiere dich nur über das, was er gesagt hat. Außerdem betrachtet er es als schwerwiegendes Versäumnis, daß du nicht zur Polizei in Norrköping Kontakt aufgenommen hast, bevor du nach Östergötland gefahren bist. Er bezweifelt übrigens den Sinn der ganzen Reise.«
»Aber ich habe Isa doch gefunden.«
»Er meint, das hätte die Polizei in Norrköping auch tun können. Während du hier unten geblieben wärst und die Ermittlungen |332| weitergeführt hättest. Ich habe so eine Ahnung, er will indirekt andeuten, daß Isa dann vielleicht noch leben würde.«
»Aber das ist doch absurd«, sagte Wallander. »Das hast du ihm hoffentlich auch gesagt?«
»Noch eins«, fügte sie hinzu. »Dein Gesundheitszustand.«
»Ich bin nicht krank.«
»Wir kommen aber nicht darum herum, daß du vor seinen Augen ohnmächtig geworden bist. Und vor meinen. Mitten in einer Sitzung.«
»Das kann doch jedem passieren, wenn er überanstrengt ist.«
»Ich gebe nur wieder, was er sagte.«
»Aber was hast du ihm geantwortet?«
»Daß ich natürlich mit dir reden werde. Und über die Sache nachdenken werde.«
Plötzlich hatte Wallander das Gefühl, nicht sicher sein zu können, welche Meinung sie selbst in der ganzen Sache hatte. Konnte er wirklich davon ausgehen, daß sie auf seiner Seite stand?
Sein Mißtrauen war spontan und stark.
»Jetzt hast du mit mir geredet«, sagte er. »Bleibt nur noch zu hören, was du denkst.«
»Was meinst du selbst?«
»Daß Thurnberg ein sturer und unangenehmer kleiner Staatsanwalt ist, der weder mich noch einen von den anderen ausstehen kann. Was im übrigen auf Gegenseitigkeit beruht. Ich glaube, daß er dies als Sprungbrett für eine leuchtende Zukunft betrachtet.«
»Das ist aber nicht besonders sachlich.«
»Aber wahr. Ich finde natürlich, daß es vollkommen richtig war, nach Bärnsö hinaufzufahren. Die Ermittlung hier unten ging ordnungsgemäß voran. Es gab keinerlei Grund, die Polizei in Norrköping über meine Reise in Kenntnis zu setzen. Es lag ja kein Verbrechen vor. Es konnte auch niemand vorhersehen, daß eins geschehen würde. Außerdem gab es noch einen sehr triftigen Grund, mit niemandem vorher zu sprechen. Es hätte
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