Wallander 07 - Mittsommermord
dachte er an Thurnberg. Und da spürte er wieder die Lust, Widerstand zu leisten. Er rief die Auskunft an und bat um die Telefonnummer von Stig Stridh. Die Antwort kam prompt. Stig Stridh wollte nicht im Telefonbuch stehen, aber seine Nummer war nicht geheim. Wallander notierte. Die Anschrift war neu. Stridh war in die Cardellgata umgezogen. Wallander wählte die Nummer. Er ließ es zehnmal klingeln, bevor sich jemand meldete.
Es war eine ältere und schleppende Stimme.
»Stridh.«
»Ich heiße Kurt Wallander und bin Kriminalbeamter.«
Als Stridh antwortete, klang es, als spucke er aus. »Ich habe Svedberg nicht erschossen. Aber vielleicht hätte ich es tun sollen.«
Wallander war empört. Stridhs Äußerung war beleidigend. Selbst wenn Svedberg sich einer ernsten Fehleinschätzung schuldig gemacht haben sollte. Er konnte sich nur schwer beherrschen.
»Vor zehn Jahren haben Sie eine Beschwerde an den Justiz-Ombudsmann geschrieben. Die jedoch keine Konsequenzen nach sich zog.«
»Was mir völlig unbegreiflich war«, sagte Stridh. »Svedberg hätte entlassen werden müssen.«
»Ich rufe nicht an, um die Entscheidung des JO zu diskutieren«, sagte Wallander scharf. »Ich rufe an, weil ich mit Ihnen darüber reden will, was damals eigentlich geschah.«
»Was gibt es da noch zu reden? Mein Bruder war betrunken.«
»Wie heißt er?«
»Nisse.«
»Wohnt er hier in Ystad?«
»Er starb 1991. Aus Gründen, die niemanden in Erstaunen versetzen dürften. Kaputte Leber.«
Wallander war einen Augenblick lang unschlüssig. Der Kontakt mit Stig Stridh war nur als erster Schritt gedacht gewesen. Zu |378| einer Begegnung auch mit seinem Bruder, der in den Ereignissen, die zu Svedbergs sonderbarem Agieren führten, die Hauptrolle gespielt hatte.
»Das tut mir leid«, sagte Wallander.
»Das können Sie jemand anderem erzählen. Aber ist auch egal. Mir tut es auch nicht leid. Wenigstens bleibt mein Wohnzimmer heil. Und keiner kommt zu jeder Tages- und Nachtzeit angelaufen und will Geld haben. Jedenfalls nicht mehr so oft.«
»Was meinen Sie damit?«
»Nisse hat eine Witwe. Oder wie man es nennen soll.«
»Entweder hat er nun eine Witwe oder er hat keine.«
»Sie nennt sich so. Aber verheiratet waren sie nie.«
»Hatten sie Kinder?«
»Sie hatte. Aber nicht die beiden zusammen. War bestimmt auch gut so. Eins von ihren Kindern sitzt übrigens im Knast.«
»Warum?«
»Banküberfall.«
»Wie heißt er?«
»Es ist eine sie. Sie heißt Stella.«
»Eine Stieftochter Ihres Bruders hat also eine Bank überfallen?«
»Ist das so merkwürdig?«
»Weibliche Bankräuber sind hierzulande nicht gerade die Regel. Es ist also schon bemerkenswert. Und wo war dieser Überfall?«
»In Sundsvall. Sie hat ein paar Schüsse in die Decke gefeuert.«
Wallander begann sich an die Geschichte zu erinnern, wenn auch nur sehr vage. Er suchte nach etwas, um zu schreiben.
»Wir müssen das alles ordentlich besprechen«, sagte er. »Entweder im Polizeipräsidium oder bei Ihnen zu Hause.«
»Und worüber sollen wir reden?«
»Das sage ich Ihnen, wenn wir uns treffen.«
»Sie fangen schon an, sich genauso unfreundlich anzuhören wie Svedberg.«
Wallander spürte, wie die Wut in ihm hochstieg. Aber er beherrschte sich.
»Ich kann einen Polizeiwagen schicken, um Sie abzuholen«, |379| sagte er. »Aber wir können dieses Gespräch auch bei Ihnen zu Hause führen.«
»Jetzt? Um halb acht am Samstagmorgen?«
»Haben Sie eine Arbeit, der Sie nachgehen müssen?«
»Ich bin Frührentner.«
»Sie wohnen in der Cardellgata«, sagte Wallander. »In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen.«
»Kann die Polizei die Leute einfach jederzeit belästigen?«
»Ja«, gab Wallander zurück. »Wenn es nötig ist. Wir können Leute sogar wecken, wenn wir es für nötig halten.«
Stridh begann zu protestieren. Wallander legte auf.
Dann aß er noch eine Tomate. Wechselte die Bettwäsche und sammelte die schmutzige Wäsche zusammen, die in der Wohnung herumlag. Er dachte an Lennart Westin, der draußen auf seiner Insel Holz sägte. An Erika und ihre Raststätte. So gut wie in ihrem kleinen Zimmer hatte er lange nicht geschlafen.
Um fünf nach acht verließ er die Wohnung. Den Wagen ließ er stehen.
Unterwegs sah er in die Schaufenster verschiedener Maklerbüros. Er entdeckte auch das Bild vom Haus seines Vaters in Löderup. Ein Gefühl der Wehmut, vielleicht der Trauer, überkam ihn. Außerdem ein schlechtes Gewissen. Er hätte das Haus kaufen
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