Wallander 07 - Mittsommermord
er auf, trat ans Fenster und schaute hinunter auf die leere nächtliche Straße. Alle Straßen gleichen sich bei Nacht, dachte er. Man erwartet, daß jemand kommt. Aber die Leere bleibt bestehen.
Louise war ein Mann. Schon von Anfang an hatte er gesehen, daß etwas mit ihrem Haar nicht stimmen konnte. Die Erklärung war einfach gewesen, vielleicht zu einfach. Eine Perücke. Ihm fiel ein, daß er in Svedbergs Keller einen Perückenständer gesehen hatte. Er hätte das Geheimnis viel früher durchschauen müssen.
Louise war ein Mann. Der sich Louise nannte, wenn er die Identität wechselte. Doch wie dieser Mann wirklich hieß, wußten sie nicht. Auch nicht, wie er aussah.
Wallander spürte, wie sich ein ungutes Gefühl in ihm ausbreitete. Die Toten, die sie gefunden hatten, waren herausgeputzt und maskiert gewesen. Genau wie Louise. Als Wallander gesagt hatte, wer er war, hatte sie sich aus dem Staub gemacht.
Das ist er, dachte Wallander. Er muß es sein. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ich hatte den Täter unmittelbar neben mir. Aber es ist mir nicht gelungen, seine Maskerade zu durchschauen. Und dann ist er verschwunden. Jetzt weiß er, daß wir uns ganz in seiner Nähe befinden. Aber er weiß auch, daß wir nichts über seine Identität wissen.
Gar nichts.
Wallander legte sich wieder aufs Sofa. Dann und wann schlummerte er ein. Aber vor allem wartete er darauf, daß es vier Uhr würde.
Als Lone Kjær hereinkam, um ihn zu wecken, war er bereits angekleidet und hatte das Bettzeug zusammengelegt. Sie sah ihn forschend an. »Niemand wird dadurch ein besserer Polizist, daß er nicht schläft«, sagte sie.
»Ich habe schon immer Probleme mit dem Schlafen gehabt«, erwiderte er. »Sogar bevor ich Polizist wurde.«
Sie tranken eine Tasse Kaffee in der Küche. Torbens Schnarchen kam durch die offene Tür.
|460| »Ich werde sehen, ob ich etwas mehr über diese Louise herausfinden kann«, sagte sie. »Die keine Louise war.«
Er dankte ihr für ihre Hilfe. Die bisherige und die zukünftige. Dann bestellte sie ihm ein Taxi.
»Ist er es?« fragte sie. »Der, nach dem Sie suchen?«
»Ja«, antwortete Wallander. »Er muß es sein. Eine andere plausible Erklärung gibt es nicht.«
Um zwanzig vor fünf betrat er das Flugbootterminal. Die Abfahrtshalle war schon voller Menschen. Das erstaunte ihn. Wer mußte schon so früh am Morgen nach Malmö hinüberfahren? Er bekam seine Fahrkarte und setzte sich. Fast wäre er auf dem Plastikstuhl im Terminal eingeschlafen. Als die Passagiere an Bord gelassen wurden, setzte er sich an ein Fenster und schlief bereits, als das Boot ablegte.
Erst in Malmö wachte er wieder auf.
Nachdem er durch den Zoll gegangen war, sah er seinen großen Fehler ein.
Louise war ein Mann. Ein schwedischer Mann. Auf Besuch in Kopenhagen, wie er selbst. Natürlich konnte er das letzte Boot am Abend zuvor erreicht haben.
Aber ebensogut konnte er unter den Passagieren an diesem Morgen sein. Wallander wußte nicht, was er eigentlich hätte tun können. Durchs Schiff gehen und versuchen, ein Gesicht wiederzuerkennen? Eine Frau ohne Schminke, die ein Mann war? Er hätte die Polizei in Malmö veranlassen können, die Personalien sämtlicher Passagiere festzustellen.
Auf jeden Fall hätte ihm der Gedanke kommen müssen.
Aber er war viel zu müde gewesen. Er war nur noch die Hülle eines Organismus, bestimmt von Müdigkeit, erhöhten Blutzuckerwerten und lähmender Schlaflosigkeit.
Er verließ das Terminal. Die Passagiere zerstreuten sich in alle Richtungen. Er konnte nichts mehr tun.
Er ging rasch zu seinem Wagen. Das Mobiltelefon lag auf dem Beifahrersitz. Als er den Wagen starten wollte, war die Batterie leer. Er lehnte sich zurück und schlug sich mit der Faust an die Stirn. Dachte einen Moment, er sollte aus dem Wagen steigen, hinüber ins Savoy gehen, ein Zimmer nehmen und sich ausschlafen. |461| Doch er verwarf den Gedanken und rief Birch an in der Hoffnung, daß dieser Frühaufsteher war. Birch erwiderte, er trinke gerade Kaffee.
»Wo warst du denn gestern abend? Wir wollten doch miteinander reden?«
Wallander erklärte ihm, was geschehen war.
»So nah«, meinte Birch hinterher. »Warst du wirklich so nah dran?«
»Ich habe mich verladen lassen. Ich hätte die Toilettentür bewachen sollen.«
»Hinterher ist man immer klüger«, meinte Birch. »Und jetzt bist du also aus Kopenhagen zurück? Du mußt müde sein.«
»Was schlimmer ist, mein Wagen springt nicht an.«
»Ich komme
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