Wallander 07 - Mittsommermord
es noch immer nicht begreifen«, sagte sie. »Zwei Tage lang war ich allein in einem Haus in einem einsamen Wald. Und dann komme ich zurück und erfahre das hier.«
Sie begann zu weinen. Birch legte beschützend die Arme um ihre Schultern.
»Ich fahre sie jetzt nach Hause«, sagte er zu Wallander. »Rufst du mich an?«
»Ich rufe aus Ystad an. Wo bist du dann?«
»Ich sehe mir noch heute abend seine Wohnung an.«
Wallander prüfte, ob er Birchs Mobilnummer hatte. Dann ging er zu seinem Wagen auf der anderen Straßenseite. Birch und Maria Hjortberg fuhren davon. Es war halb elf geworden.
Er wollte seinen Wagen aufschließen, als es in seiner Tasche piepte. Er meldete sich.
»Spreche ich mit Kurt Wallander?«
»Ja, das bin ich.«
|452| »Lone Kjær hier. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß die Frau, die vielleicht Louise heißt, gerade im ›Amigo‹ ist. Was sollen wir tun?«
»Ich bin in Malmö. Ich komme sofort rüber. Wenn sie die Bar verläßt, möchte ich, daß jemand ihr folgt.«
»Sie müßten das Flugboot um elf erreichen. Dann sind Sie um Viertel vor zwölf in Kopenhagen. Ich erwarte Sie innerhalb der Absperrgitter.«
»Lassen Sie sie nicht aus den Augen«, sagte Wallander. »Ich brauche sie.«
»Wir passen gut auf sie auf. Das verspreche ich Ihnen.«
Wallander fuhr zum Hafen und parkte den Wagen.
Um Punkt elf verließ die
Löparen
den Kai und nahm Kurs auf Kopenhagen.
Wallander saß auf dem Oberdeck und starrte in die Dunkelheit hinaus. Dann suchte er in seiner Jackentasche nach dem Handy. Es war nicht da. Er hatte es auf den Beifahrersitz gelegt.
Außerdem fragte er sich plötzlich, ob er die Beleuchtung seines Wagens ausgemacht hatte. Er fragte eine der Stewardessen, wo er telefonieren könne.
»Das Telefon ist leider defekt.«
Wallander nickte. Lone Kjær hatte sicher ein Mobiltelefon.
Er starrte wieder in die Dunkelheit. Seine Spannung stieg.
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Wallander entdeckte sie sofort, als er die Gangway hinunterging. Sie trug eine Lederjacke, hatte kurzes blondes Haar und war jünger, als er sie sich vorgestellt hatte. Außerdem klein. Aber daran, daß sie Polizistin war, bestand kein Zweifel. Warum, konnte er wie gewöhnlich nicht begründen. Aber es geschah äußerst selten, daß er Polizisten in einer Ansammlung unbekannter Menschen nicht erkannte.
Sie gingen aufeinander zu und begrüßten sich.
»Louise ist noch in der Bar«, sagte sie.
»Wenn sie wirklich Louise heißt«, antwortete Wallander.
»Wie wollen Sie eigentlich mit ihr verfahren?«
Wallander hatte sich während der Überfahrt Gedanken über die Situation gemacht. Es lag nichts gegen die Frau vor. Sie stand weder unter dem Verdacht, ein Verbrechen begangen zu haben, noch unterstellte man ihr, von einem Kenntnis gehabt zu haben. Das einzige, was er wollte, war ein Gespräch mit ihr. Fragen glaubte er zur Genüge zu haben.
»Ich glaube, sie könnte über eine Menge verschiedener und wichtiger Informationen verfügen. Das Wichtigste ist also, daß sie nicht verschwindet.«
»Haben Sie denn Grund anzunehmen, sie könnte sich aus dem Staub machen wollen?«
Die Frage war mehr als berechtigt. Möglicherweise war die Frau sich gar nicht bewußt, daß nach ihr gesucht wurde. Und daß ihr Foto in den Zeitungen gewesen war. Und wenn niemand sie gesehen hatte, konnte das ganz einfach daran liegen, daß sie sich aus einem höchst natürlichen Grund selten zeigte.
Sie waren inzwischen durch den Zoll gegangen und auf die Straße getreten. Ein Polizeiwagen mit Fahrer wartete. Sie setzten sich auf die Rückbank. Der Fahrer fuhr los.
|454| »Eine Bar ist nicht gerade der ideale Ort für ein Gespräch«, meinte Wallander.
»Mein Büro steht Ihnen zur Verfügung.«
Sie fuhren schweigend weiter. Wallander dachte an seinen letzten Besuch in Kopenhagen. Da war er in der Königlichen Oper gewesen und hatte
Tosca
gehört. Er war allein gewesen. Nach der Vorstellung war er in eine Bar gegangen, und er hatte kräftig Schlagseite, als er schließlich das letzte Flugboot zurück nach Malmö nahm. Er wollte die Kollegin gerade bitten, ihr Telefon benutzen zu dürfen, als der Wagen bremste. Lone Kjær sprach kurz in ein Funksprechgerät.
»Sie ist noch drin«, sagte sie.
Dann zeigte sie durch die Frontscheibe.
»Auf der anderen Straßenseite. Soll ich hier auf Sie warten?«
»Sie können ebensogut mitkommen.«
Ein kaputtes Leuchtschild, auf dem nur noch die Buchstaben »igo« lesbar waren, hing über der Eingangstür. Wallander war
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