Wallander 07 - Mittsommermord
zum Eingang«, sagte er.
Martinsson wies mit einer Kopfbewegung in Rosmarie Lemans Richtung. »Was machen wir mit ihr?«
»Notiere das Wichtigste. Zeitpunkt und Anschrift. Dann schick sie nach Hause. Und verbiete ihnen, mit jemandem zu reden.«
»Das können wir kaum tun.«
Wallander starrte Martinsson an. »Im Augenblick können wir so gut wie alles tun.«
Martinsson und Rosmarie Leman verschwanden. Wallander war allein. Der Vogel sang wieder. Ein paar Meter von ihm entfernt, vom dichten Buschwerk verborgen, lagen drei tote Jugendliche. Wallander fragte sich, wie einsam ein Mensch eigentlich sein konnte. Er setzte sich auf einen Stein neben dem Pfad. Der Vogel war auf den nächsten Baum geflogen.
Wir haben sie nicht nach Hause bekommen, dachte Wallander. Sie sind gar nicht auf Europareise gegangen. Sie sind zu Hause geblieben. Und sie waren schon tot. Vielleicht schon am Mittsommerabend. |193| Eva Hillström hat die ganze Zeit recht gehabt. Jemand anders hat die Ansichtskarten geschrieben. Sie waren die ganze Zeit hier. An der Stelle, wo sie ihr Mittsommerfest gefeiert haben.
Er dachte an Isa Edengren. Hatte sie verstanden, was geschehen war, und deshalb versucht, sich das Leben zu nehmen? Weil sie wußte, daß die anderen schon tot waren? Wie sie es auch wäre, wenn sie nicht krank geworden wäre?
Doch schon hier stimmte etwas nicht. Wie kam es, daß die toten Körper so lange unentdeckt geblieben waren? In einem Naturreservat während der Ferienzeit? Auch wenn die Stelle, die sie gewählt hatten, versteckt lag, müßte jemand sie gesehen oder den Geruch bemerkt haben.
Wallander war ratlos. Doch im Grunde genommen war er noch nicht wieder imstande zu denken. Das Geschehene lähmte ihn. Wer konnte drei Jugendliche töten, die sich verkleidet hatten, um zusammen Mittsommer zu feiern? Es war die grauenhafte Tat eines Wahnsinnigen. Und im Umfeld dieser Wahnsinnstat, entweder an ihrem Rand oder in der Nähe ihres Zentrums, hatte sich ein weiterer Mensch befunden, der jetzt ebenfalls tot war.
Svedberg. Was hatte er damit zu tun? Auf welche Weise war er in die Sache verwickelt?
Wallanders Gefühl von Ohnmacht wurde stärker. Obwohl er die toten Jugendlichen nur wenige Sekunden betrachtet hatte, waren ihm die Einschußlöcher in ihren Stirnen nicht entgangen. Derjenige, der die Waffe gehalten hatte, wußte genau, worauf er zielte.
Svedberg war der beste Pistolenschütze von ihnen allen gewesen.
Der Vogel war verschwunden. Dann und wann fuhr ein Windstoß durch das Laubwerk. Dann wurde es wieder still.
Svedberg war der beste Schütze gewesen. Wallander zwang sich, den Gedanken zu Ende zu denken. Konnte Svedberg das Massaker angerichtet haben? Was sprach eigentlich dagegen, dies als eine ebenso denkbare Möglichkeit anzusehen wie irgend etwas anderes?
Gab es überhaupt eine Alternative?
|194| Wallander erhob sich und begann auf dem Pfad vor und zurück zu gehen. Er wünschte, Rydberg wäre irgendwo, wo er ihn über sein Telefon erreichen könnte. Aber Rydberg war tot. Genauso tot wie die drei jungen Leute.
In was für einer Welt leben wir? dachte er. In der jemand drei junge Menschen tötet, die noch kaum eine Chance gehabt haben, ihr Leben zu leben?
Er hielt mitten im Schritt inne. Wie lange würde er das noch durchhalten? Er war seit fast dreißig Jahren Polizist. Einmal war er in seiner Heimatstadt Malmö auf Streife gewesen. Ein Betrunkener hatte ihm ein Messer in die Brust gestoßen, unmittelbar neben dem Herzen.
Leben hat seine Zeit, Sterben hat seine Zeit
, pflegte er zu denken. Die Narbe auf seiner linken Seite konnte er spüren. Aber er lebte. Nur, wie lange würde er noch durchhalten. Er dachte an Per Åkesson in Uganda. Manchmal fragte er sich, ob Åkesson je wieder nach Hause kommen würde.
Für einen Moment überkam Wallander dort auf dem Pfad eine unsägliche Verbitterung. Er war sein Leben lang Polizist gewesen und hatte gedacht, er trüge dazu bei, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Aber alles um ihn her war nur schlimmer geworden. Die Gewalt hatte zugenommen, an Ausmaß wie an Härte. Schweden hatte sich zu einem Land mit immer mehr verschlossenen Türen entwickelt.
Manchmal dachte er an seinen Schlüsselbund. Von Jahr zu Jahr gab es mehr Schlüssel und immer neue Kodeschlösser. Und zwischen all diesen Schlössern und Schlüsseln nahm eine Gesellschaft Gestalt an, in der Wallander sich zunehmend wie ein Fremder vorkam.
Er fühlte sich schwerfällig, müde und mutlos. Was
Weitere Kostenlose Bücher