Wallander 07 - Mittsommermord
verschwand ganz einfach. Er sprach lediglich mit Ann-Britt Höglund. Er zog sie unauffällig mit sich bis zu dem Pfad, der bereits plattgetrampelt und von den vielen Bereitschaftsfahrzeugen ausgewalzt worden war. Er brauchte ihren Autoschlüssel, weil sein eigener Wagen in der Mariagata stand. Wohin er wollte, sagte er jedoch nicht. Für den Notfall hatte er sein Handy. Sie konnten ihn immer erreichen. Dann verschwand er den Pfad hinunter. Sie kehrte zum Tatort zurück, wo die Arbeit auf Hochtouren lief. Die drei Körper waren kurz nach sechzehn Uhr fortgebracht worden. Nach einiger Zeit bemerkte Martinsson Wallanders Fehlen und fragte, wo er geblieben sei. Kurz darauf fragten auch Hansson und Nyberg. Sie antwortete wahrheitsgemäß, sie wisse es nicht. Er hatte sich ihren Wagen geliehen, das war alles.
Aber nichts daran war eigentlich besonders merkwürdig. Wallander hatte lediglich, nach all den Stunden im Dunstkreis der makabren Überreste eines Mittsommerfests, nicht mehr gekonnt. Wenn er sich einen Überblick verschaffen wollte, brauchte er Distanz. Er trug in letzter Instanz die Verantwortung für die Ermittlungen. Oder für die Ermittlung, wie er sie bereits nannte. Wenn er sich einer Sache sicher war, dann der, daß alles zusammenhing, die toten Jugendlichen, Svedberg, das Teleskop, alles. Als die Körper fortgetragen wurden, wäre er vor Erschöpfung und Angst fast zusammengebrochen. Doch er zwang sich, weiterzumachen, und hatte noch ein paar Stunden damit verbracht, sich vorzustellen, was eigentlich genau geschehen war. Danach hatte ihn das Bedürfnis überkommen, einfach zu verschwinden. Als er um Ann-Britt Höglunds Autoschlüssel bat, wußte er |201| schon, wohin er wollte. Er floh nicht planlos. Wie erschöpft und mutlos er auch sein mochte, so verlor er doch äußerst selten die Kontrolle über seinen inneren Richtungsweiser. Er war in Eile, als er in der Dämmerung den Pfad entlangstapfte. Er wollte etwas sehen, einen Spiegel, den er vor sich aufstellen mußte. An der Einfahrt zum Reservat warteten ein paar Journalisten. Das Gerücht, daß dort zwischen den Bäumen etwas geschehen war, hatte sich rasch verbreitet.
Wallander winkte ab, als sie ihm Fragen stellen wollten. Am nächsten Tag würde die Presse informiert werden. Jetzt konnten sie noch nichts sagen. Aus ermittlungstechnischen Gründen, und vielleicht auch aus anderen, die er nicht einmal erwähnen durfte. Das letzte war natürlich nicht wahr. Aber das kümmerte ihn im Moment nicht. Jetzt ging es einzig und allein darum, die Person oder die Personen zu finden, die die jungen Leute getötet hatten. Wenn sich dann zeigen sollte, daß Svedberg auf die eine oder andere Weise in die Sache verwickelt war, ließ sich das nicht ändern. Wie die Wahrheit aussah, wenn sie sie fanden, bekümmerte ihn im Augenblick wenig.
Dann fuhr er davon, und als er an die Hauptstraße gelangte, die nach Ystad und Malmö führte, hielt er an, um sicher zu sein, daß keiner der Journalisten ihm folgte.
Er parkte vor Svedbergs Haus in der Lilla Norregata. Der Betonmischer stand noch da. Svedbergs Schlüssel hatte er in der Tasche, seit er sie von Nyberg bekommen hatte. An der Wohnungstür klebte ein Hinweis, daß die Wohnung von niemandem außer der Polizei betreten werden durfte. Wallander entfernte den Klebestreifen über dem Schlüsselloch und schloß auf. Wie beim erstenmal, als er in Begleitung Martinssons die Wohnung betreten hatte, blieb er im Flur stehen und lauschte. Die Luft war stickig und abgestanden. Er ging in die Küche und öffnete das Fenster. Dann trank er Wasser am Spülbecken. Dabei fiel ihm ein, daß er am folgenden Tag, dem Montag, einen frühen Termin bei Doktor Göransson hatte. Aber er wußte, daß er nicht hingehen würde. Es hatte sich sowieso nichts geändert, seit der Arzt die Diagnose gestellt hatte. Er aß so ungesund und nachlässig wie vorher. Von nennenswerter Bewegung konnte keine Rede sein. So wie die Dinge |202| zur Zeit lagen, mußte alles andere zurückstehen, auch seine eigene Gesundheit.
Das Licht von der Straße fiel ins Wohnzimmer. Wallander hatte den Fundort im Reservat verlassen, weil er Abstand brauchte zu dem, was geschehen war. Aber noch ein anderer Gedanke hatte ihn bewogen, sich zurückzuziehen, der ihm bereits im Lauf des Vormittags gekommen war und dem er bis dahin keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Sie hatten über Berührungspunkte gesprochen, daß Svedberg irgendwie in die Sache verwickelt war. Und sie
Weitere Kostenlose Bücher