Wallander 08 - Die Brandmauer
fragen, unterdrückte es aber. Er machte sich auch keine Illusionen. Im Augenblick beschuldigte ihn ein junges Mädchen, gestützt von der Mutter, es mißhandelt zu haben. Polizisten pflegten einander den Rücken zu stärken. Aber wenn anderseits ein Kollege sich selbst ein Problem geschaffen hatte, konnten ihm alle rasch den Rücken zukehren.
»Du glaubst also, daß die Lösung in diesem Computer liegt?« fragte sie.
»Ich glaube nichts. Aber wir müssen uns Klarheit darüber verschaffen, was Falk eigentlich trieb. Wer war er? Heute kommt es mir so vor, als bekämen Menschen allmählich elektronische Identitäten.«
Dann berichtete er von der Frau, die mit Hansson auf dem Weg ins Präsidium war.
»Das ist wohl die erste Person, die tatsächlich etwas gesehen hat«, sagte Ann-Britt.
»Bestenfalls.«
|253| Sie lehnte am Türpfosten. Sie hatte sich das erst kürzlich angewöhnt. Früher, wenn sie in sein Zimmer gekommen war, hatte sie sich immer auf den Stuhl gesetzt.
»Ich habe versucht nachzudenken«, sagte sie. »Gestern abend, vor dem Fernseher. Irgendeine Unterhaltungssendung. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Die Kinder waren eingeschlafen.«
»Und dein Mann?«
»Mein Exmann. Er befindet sich im Jemen. Glaube ich. Aber jedenfalls habe ich den Fernseher ausgemacht und mich in die Küche gesetzt, mit einem Glas Wein. Ich versuchte, alles durchzugehen, was passiert war. So einfach wie möglich. Ohne irrelevante Details.«
»Das ist eine nahezu unmögliche Aufgabe«, wandte Wallander ein. »Solange man nicht weiß, was tatsächlich relevant ist und was nicht.«
»Du hast mir aber beigebracht, daß man sich vorwärtstasten muß. Und das Wesentliche vom Unwesentlichen trennt.«
»Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«
»Daß gewisse Dinge trotz allem als gegeben gelten können. Erstens, daß wir den Zusammenhang zwischen Tynnes Falk und Sonja Hökberg nicht zu bezweifeln brauchen. Das elektrische Relais ist ausschlaggebend. Gleichzeitig gibt es in allen Zeitplänen etwas, was auf eine Möglichkeit hindeutet, der wir bisher keine rechte Beachtung geschenkt haben.«
»Und das wäre?«
»Daß Tynnes Falk und Sonja Hökberg vielleicht nicht direkt miteinander zu tun hatten.«
Wallander verstand. Ihr Gedankengang konnte von Bedeutung sein. »Du meinst also, daß die Verbindung zwischen ihnen indirekt war? Über eine dritte Person?«
»Das Motiv liegt vielleicht ganz woanders. Weil Tynnes Falk selbst ja schon tot war, als Sonja Hökberg verbrannte. Aber die Person, die sie getötet hat, kann auch Tynnes Falks Leiche entwendet haben.«
»Trotzdem wissen wir nicht, wonach wir suchen«, sagte Wallander. »Es gibt kein Motiv, das sie verbindet. Keinen gemeinsamen |254| Nenner. Außer daß es für alle gleich dunkel wurde, als der Strom ausfiel.«
»Und war es ein Zufall oder nicht, daß der Stromausfall gerade an der Transformatorstation ausgelöst wurde, die am empfindlichsten war?«
Wallander zeigte auf eine Karte an der Wand. »Sie ist von Ystad aus gesehen die nächstliegende«, sagte er. »Und von hier ist Sonja Hökberg gekommen.«
»Aber wir sind uns einig, daß sie zu jemandem Kontakt aufgenommen haben muß. Der daraufhin beschloß, sie dorthin zu fahren.«
»Wenn sie es nicht selbst wollte«, sagte Wallander langsam. »Es kann wirklich so sein.«
Schweigend betrachteten sie die Karte.
»Ich frage mich, ob man nicht mit Lundberg anfangen sollte«, sagte Ann-Britt nachdenklich. »Dem Taxifahrer.«
»Haben wir was über ihn gefunden?«
»Er ist nicht in unseren Registern. Ich habe außerdem mit einigen seiner Kollegen gesprochen. Und mit seiner Witwe. Keiner hat ein böses Wort über ihn zu sagen. Ein Mann, der Taxi fuhr und seine Freizeit der Familie widmete. Ein schönes und normales schwedisches Schicksal, das ein brutales Ende erfährt. Als ich gestern in der Küche saß, kam es mir auf einmal so vor, als sei es
zu
schön. Das Bild hatte keinen Makel. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern Lundbergs Leben ein bißchen genauer unter die Lupe nehmen.«
»Ich denke, da tust du genau das Richtige. Hatte er Kinder?«
»Zwei Söhne. Einer wohnt in Malmö. Der andere lebt hier in der Stadt. Ich wollte sie mir eigentlich heute vornehmen.«
»Tu das. Und wenn es uns nur zu der Erkenntnis führt, daß es ein gewöhnlicher Raubmord war und nichts anderes.«
»Kommen wir heute zusammen?«
»Falls ja, melde ich mich.«
Sie verschwand durch die Tür. Wallander dachte noch eine Weile
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