Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Arzt. Aber das heißt ja nicht, dass ich immer allein aufgewacht bin. Man muss ja nicht zölibatär leben, nur weil man keine feste Beziehung hat.«
Wallander spürte einen Stich von Eifersucht, als er sich fremde Männer an Baibas Seite in ihrem Bett vorstellte. Aber er sagte natürlich nichts.
Plötzlich begann Baiba, von ihrer Krankheit zu erzählen. Sie war, wie sie immer gewesen war, wenn es um etwas Ernstes ging, sachlich. »Es fing mit einer plötzlichen Müdigkeit an«, sagte sie. »Aber ziemlich bald ahnte ich, dass dahinter etwas Bedrohliches war. Zunächst fanden die Ärzte nichts. Ausgebranntsein, Alter, keiner hatte eine Antwort, die mich überzeugt hätte. Ich besuchte schließlich einen Spezialisten in Bonn, einen Mann, der sich auf Fälle spezialisiert hatte, bei denen andere Ärzte keine Diagnose stellen konnten. Nach tagelangen Tests und Biopsien konnte er mir sagen, dass ich einen seltenen Tumor in der Leber hatte. Ich fuhr nach Riga zurück und hatte das Todesurteil wie einen unsichtbaren Stempel in meinem Pass. Ich gebe gern zu, dass ich alle meine Beziehungen nutzte, und nach sehr kurzer Zeit bekam ich einen Operationstermin. Aber es war zu spät. Der Tumor hatte schon gestreut. Vor einigen Wochen erfuhr ich, dass ich jetzt auch Metastasen im Gehirn habe. Es ist weniger als ein Jahr vergangen. Ich werde Weihnachten nicht mehr erleben, ich sterbe irgendwann im Herbst. Die Zeit, die mir noch bleibt, versuche ich so zu nutzen, wie es mir gefällt. Ich möchte noch ein paar Orte in der Welt sehen, einige Menschen besuchen. Du bist einer von ihnen, vielleicht der, den ich am liebsten wiedersehen wollte.«
Wallander brach plötzlich in Tränen aus. Sie nahm seine Hand, was die Situation für ihn noch schwerer machte. Er stand auf und ging zur Rückseite des Hauses, bis er sich wieder gefasst hatte.
»Ich bin nicht gekommen, um dich traurig zu machen«, sagte sie. »Ich hoffe, du verstehst, warum ich herkommen musste.«
»Ich habe die Zeit nie vergessen«, sagte er. »Oft habe ich sie mir zurückgewünscht. Jetzt, wo du hier bist, muss ich dich etwas fragen. Hast du es jemals bereut?«
»Dass ich nicht ja gesagt habe, als du mich heiraten wolltest?«
»Die Frage bewegt mich ständig.«
»Nie. Was damals richtig war, muss auch heute richtig bleiben, nach all den Jahren.«
Wallander verstand sie. Warum sollte sie überhaupt darüber nachgedacht haben, einen ausländischen Polizisten zu heiraten, wo ihr Mann, der auch Polizist war, gerade ermordet worden war? Wallander erinnerte sich, wie er versucht hatte, sie zu überreden. Aber wie hätte er selbst reagiert, wenn die Rollen vertauscht gewesen wären? Welche Wahl hätte er getroffen?
Sie schwiegen lange. Schließlich stand Baiba auf, strich Wallander über den Kopf und verschwand im Haus. Weil er gesehen hatte, dass ihre Schmerzen wiederkamen, nahm er an, dass sie sich wieder eine Spritze gab. Als sie nicht zurückkam, ging er ins Haus. Sie war auf seinem Bett eingeschlafen. Spät am Nachmittag wachte sie auf, und nachdem ihre Verwirrung sich gelegt hatte, fragte sie, ob sie über Nacht bleiben könne. Sie würde am Morgen eine Fähre nach Polen nehmen und von dort aus nach Hause fahren.
»Es ist zu weit für dich mit dem Auto«, sagte Wallander erregt. »Ich bringe dich nach Hause und fliege zurück.«
Sie schüttelte den Kopf und erwiderte, sie wolle allein zurückfahren, wie sie auch gekommen sei. Als Wallanderinsistierte, wurde sie plötzlich ärgerlich und schrie ihn an. Doch sie verstummte sofort und entschuldigte sich. Er setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte sie. »Wie lange noch? Wann stirbt Baiba? Hätte ich die geringste Vorahnung, dass es so weit ist, würde ich nicht bleiben. Ich wäre nicht einmal gekommen. Aber ich habe wohl noch ein paar Monate. Wenn ich spüre, dass das Ende sich unwiderruflich nähert, werde ich die Qual nicht verlängern. Ich habe sowohl Tabletten als auch Injektionen. Ich will mit einer Flasche Champagner an meinem Bett sterben. Ich werde darauf trinken, dass ich dieses seltsame Abenteuer erleben durfte, geboren zu werden, zu leben und eines Tages wieder ins Dunkel zu verschwinden.«
»Hast du keine Angst?«
Wallander hätte sich sofort auf die Zunge beißen mögen. Wie konnte er einem todkranken Menschen eine solche Frage stellen? Aber sie nahm es gelassen. Er dachte mit einer Mischung aus Scham und Verzweiflung, dass sie sich wohl vor langer Zeit schon
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