Wallander 09 - Der Feind im Schatten
lichten. Als mein Vater starb, war ich der Nächste in der Reihe, wenn du verstehst, was ich meine. Klara ist die Allerletzte in der Lebenslinie, und ich stehe ganz vorn.«
»Wenn Baiba zu dir gekommen ist, dann bedeutest du ihr etwas. Das ist das einzig Wichtige.«
»Komm her«, sagte Wallander. »Ich möchte, dass du einmal die Frau treffen sollst, die mir wirklich etwas bedeutet hat.«
»Neben Mona?«
»Das versteht sich von selbst.«
Linda überlegte einen Moment. »Ich habe Besuch von einer Freundin«, sagte sie dann. »Rakel, erinnerst du dich ansie? Sie ist inzwischen Polizistin in Malmö. Sie und Klara kommen gut miteinander zurecht.«
»Bringst du Klara nicht mit?«
»Ich komme allein, und ziemlich bald.«
Es war drei Uhr geworden, als Linda auf den Hof schlitterte und eine Vollbremsung brauchte, um nicht auf Baibas Wagen aufzufahren. Wallander machte sich ständig Sorgen, weil sie zu schnell fuhr. Gleichzeitig war er froh, wenn sie nicht das Motorrad nahm. Das sagte er ihr auch. Sie antwortete mit einem Fauchen.
Baiba war aufgewacht und hatte etwas Wasser und noch eine Tasse Tee getrunken. Wallander hatte heimlich zugesehen, wie sie sich eine Spritze in den Schenkel gegeben hatte. Einen kurzen Augenblick lang hatte er ihre Nacktheit gesehen und Verzweiflung in sich aufwallen fühlen über all das, was vorbei war, was nie wiederholt, nie neu erlebt werden konnte.
Sie verbrachte eine lange Zeit im Badezimmer. Als sie herauskam, wirkte sie weniger müde. Es war ein großer und bemerkenswerter Augenblick für ihn, als Baiba und Linda sich begrüßten. Wallander hatte das Gefühl, jetzt die Baiba zu sehen, die er vor so vielen Jahren in Lettland getroffen hatte.
Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, umarmte Linda sie und sagte, dass sie sich freue, endlich die große Liebe ihres Vaters kennenzulernen. Wallander war verlegen, aber gleichzeitig froh darüber, sie zusammen zu sehen. Wenn Mona da gewesen wäre, trotz seiner augenblicklichen Wut auf sie, und wenn Linda Klara auf dem Arm gehabt hätte, wären die vier wichtigsten und auf ihre Weise einzigen Frauen seines Lebens um ihn versammelt gewesen. Ein großer Tag, dachte er, mitten im Sommer, mitten in einer Zeit, da das Alter heimtückisch immer näher heranschleicht.
Als Linda hörte, dass Baiba noch nichts gegessen hatte, schickte sie Wallander in die Küche, um ein Omelett zu machen.Durch das offene Fenster hörte er Baiba lachen. Das rief noch stärkere Erinnerungen in ihm wach, Tränen traten ihm in die Augen, und er dachte, dass er im Begriff war, sentimental zu werden. Das war früher nur vorgekommen, wenn er betrunken war.
Sie aßen im Garten und wanderten mit dem Schatten. Wallander hörte hauptsächlich zu, und Linda stellte Fragen nach Lettland, das sie nicht kannte. Für einen kurzen Moment entsteht eine Familie, dachte er. Bald ist es vorbei. Und die Frage, die schwerste von allen, ist, was davon bleibt.
Nach einer guten Stunde musste Linda nach Hause. Sie hatte ein Foto von Klara mitgebracht und zeigte es Baiba.
»Sie kann ihrem Großvater ähnlich werden«, sagte Baiba.
»Um Gottes willen«, sagte Wallander.
»Glaub ihm nicht«, sagte Linda. »Er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass Klara wird wie er. Wir sehen uns wieder«, sagte sie, als sie aufstand, um nach Hause zu fahren.
Baiba antwortete nicht. Vom Tod hatten sie nicht gesprochen.
Sie blieben vor dem Haus sitzen und begannen plötzlich, von ihrem Leben zu erzählen. Baiba stellte viele Fragen, und er antwortete, so gut er konnte. Beide lebten allein. Baiba hatte vor zehn Jahren versucht, eine Beziehung mit einem Arzt aufzubauen, aber nach einem halben Jahr aufgegeben. Sie hatte keine Kinder. Wallander wurde nicht klar, ob sie es bedauerte.
»Mein Leben ist gut gewesen«, sagte sie mit Nachdruck. »Als endlich die Grenzen geöffnet wurden, konnte ich reisen. Ich lebte sparsam, schrieb Zeitungsartikel und beriet Unternehmen, die sich in Lettland etablieren wollten. Am besten wurde ich von einer schwedischen Bank bezahlt, die jetzt die größte in Lettland ist. Zweimal im Jahr bin ich verreist, und ich weiß sehr viel mehr über die Welt, in der ichlebe, als damals, als wir zusammen waren. Ich habe ein gutes Leben gehabt, einsam, aber gut.«
»Mich hat es immer gequält, allein aufzuwachen«, sagte Wallander und fragte sich, ob das eigentlich stimmte.
Baiba lachte, als sie antwortete. »Ich habe allein gelebt, abgesehen von der kurzen Periode mit dem
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