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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Mona hatte sich plötzlich bewusst gemacht, dass sie noch nie in der Hauptstadt gewesen war, und jetzt wollte sie diese unverzeihliche Unterlassung korrigieren. Sie hatten vier seiner Urlaubstage genutzt, Mona studierte damals und hatte weder einen Lohn noch geregelte Urlaubszeiten. Linda blieb drei Tage bei einer Klassenkameradin, sie sollte in jenem Herbst in die dritte Klasse kommen. Er erinnerte sich, dass es Anfang August gewesen war. Warme Tage, ab und zu heftige Gewitter, dann wieder drückende Hitze, die sie in den Schatten unter den hohen Parkbäumen trieb. Das ist jetzt fast dreißig Jahre her, dachte er, als er sich Slussen näherte und sich an den Aufstieg zum Hotel machte. Dreißig Jahre, mehr als eine Generation, und jetzt kehre ich zurück. Aber diesmal allein.
    Als er das Foyer betrat, erkannte er nichts wieder und fragte sich, ob sie wirklich in diesem Hotel gewohnt hatten.Dann schüttelte er sein plötzlich aufkommendes Unlustgefühl ab, verbannte alle Gedanken an die Vergangenheit und nahm den Aufzug hinauf zu seinem Zimmer im ersten Obergeschoss. Er schlug den Bettüberwurf zurück und legte sich hin. Die Zugreise war wenig entspannend gewesen, denn er war von schreienden Kindern und einigen angetrunkenen jungen Männern, die in Alvesta zugestiegen waren, umgeben gewesen. Er schloss die Augen und versuchte zu schlafen. Als er mit einem Ruck erwachte und auf die Uhr sah, waren nur zehn Minuten vergangen. Er stand auf und trat ans Fenster. Was konnte mit Håkan von Enke geschehen sein? Wenn er alle Puzzlestücke zusammenfügte – die, die er von Linda bekommen hatte, und die, die er aufgrund seiner Erfahrung beisteuern konnte –, was war dann das Ergebnis? Er gelangte nicht einmal zum Ansatz einer Schlussfolgerung.
    Er hatte angekündigt, Louise um sieben Uhr am Abend zu besuchen. Wieder entschied er sich für einen Spaziergang. Als er am Schloss vorbeikam, hielt er plötzlich inne. Hier war er mit Mona gewesen, er war ganz sicher. Genau hier auf der Brücke waren sie stehen geblieben und hatten darüber gesprochen, wie sehr ihnen die Füße wehtaten. Die Erinnerung war so deutlich, dass er ihre Stimmen im Kopf zu hören meinte. Es gab Augenblicke, in denen er von Trauer über das Scheitern ihrer Ehe überwältigt wurde. Dies war ein solcher Augenblick. Er sah auf das wirbelnde Wasser hinunter und dachte, dass sein Leben sich immer mehr darum drehte, sich zweifelhafte Rechenschaften über all das abzulegen, was er mit der Zeit verloren hatte.
    Als er an der Haustür klingelte, hatte Louise von Enke Tee gemacht. Sie war übernächtigt, aber doch merkwürdig konzentriert. An den Wänden des Wohnzimmers hingen Porträts derer von Enke und Schlachtengemälde in dumpfen Farben.
    Sie bemerkte seinen Blick, als er die Bilder betrachtete.»Håkan war der erste Marineoffizier in der Familie. Sein Vater, Großvater und Urgroßvater waren Armeeoffiziere. Ein Onkel war außerdem Kammerherr von König Oskar, ob es der erste oder der zweite war, weiß ich nicht mehr. Ein anderer Verwandter erhielt den Degen dort in der Ecke von Karl XIV. für geleistete Dienste. Håkan behauptete, es sei seine Aufgabe gewesen, die Majestät mit geeigneten jungen Damen zu versorgen.«
    Sie verstummte. Wallander lauschte dem Ticken einer Uhr auf dem Sims des offenen Kamins. Von der Straße drang gedämpftes Brausen herein.
    »Was könnte geschehen sein?«
    »Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.«
    »War etwas ungewöhnlich an dem Tag, an dem er verschwand? Etwas, was von Håkans Verhaltensmuster abwich?«
    »Nein. Alles war wie immer. Håkan ist ein Mensch mit festen Gewohnheiten, auch wenn er kein Pedant ist.«
    »Wie waren die Tage davor? Die Woche davor?«
    »Er war erkältet. Einen Tag hat er seinen Morgenspaziergang ausgelassen. Das war alles.«
    »Hat er Post erhalten? Hat jemand angerufen? Hatte er Besuch?«
    »Er hat einige Male mit Sten Nordlander gesprochen, seinem engsten Freund.«
    »War er auch auf dem Fest in Djursholm?«
    »Er war an dem Tag verreist. Håkan und Sten haben sich kennengelernt, als sie auf demselben U-Boot arbeiteten. Håkan als Kommandant und Sten als Maschineningenieur. Es muss schon irgendwann Ende der sechziger Jahre gewesen sein.«
    »Was sagt Sten über Håkans Verschwinden?«
    »Er ist genauso besorgt wie alle anderen. Er hat auch keine Erklärung. Er sagt, er wolle gern mit dir sprechen, wenn du hier bist.«
    Sie saß auf einem Sofa Wallander gegenüber. Die Abendsonne schien ihr plötzlich ins

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