Wallander 09 - Der Feind im Schatten
niemandem aufgefallen ist, liegt das nahe. Aber sonst spricht nichts dafür.«
Wallander nickte. »Du hast gesagt, die Sicherheitspolizei interessiere sich für den Fall. Haben sie irgendetwas beitragen können?«
Ytterberg blinzelte Wallander an und lehnte sich zurück. »Seit wann trägt die Sicherheitspolizei hierzulande etwas Sinnvolles bei? Sie sagen, es sei reine Routine, dass sie sich dafür interessieren, wenn ein hoher Militär verschwindet, auch wenn er schon lange pensioniert ist.«
Ytterberg goss sich eine Tasse Kaffee ein.
Wallander schüttelte wieder den Kopf. »Auf dem Fest zu seinem Fünfundsiebzigsten wirkte von Enke beunruhigt«, sagte er.
Weil er Vertrauen zu Ytterberg gefasst hatte, erzählte er von der Episode auf der Terrasse, als von Enke erschrocken war. »Außerdem bekam ich an dem Abend den Eindruck, dass er sich mir anvertrauen wollte. Aber nichts von allem, was er sagte, erklärte seine Beunruhigung, und es gab auch nichts, was man als eine besondere Vertraulichkeit hätte bezeichnen können.«
»Aber er hatte Angst?«
»Es kam mir so vor. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass ein U-Boot-Kapitän sich kaum durch eingebildete Gefahren beunruhigen lassen würde. Dafür sollte ein Dasein unter Wasser gesorgt haben.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Ytterberg nachdenklich.
Auf dem Korridor erklang plötzlich eine erregte Frauenstimme. Wallander bekam mit, dass die Frau sich wütend darüber beschwerte, »von einem Kasper verhört zu werden«. Dann wurde es wieder still.
»Etwas beunruhigt mich«, sagte Wallander. »Ich bin das Arbeitszimmer in seiner Wohnung in der Grevgata durchgegangen. Dabei hatte ich das Gefühl, dass jemand dort gewesen war und sein Archiv gesäubert hat. Es fällt mir schwer, es zu begründen. Aber du kennst so etwas. Man findet ein System in der Art, wie Menschen ihre Habe verwahren, vor allem die Papiere, die sich in unser aller Kielwasser ansammeln. Der eigentliche Schaum des Lebens , wie ein alter Kommissar einmal zu mir sagte. Aber dann kommt es plötzlich zu Brüchen. Es entstehen seltsame Lücken. Alles war auffallend ordentlich – bis auf eine Schublade, in der alles durcheinanderlag.«
»Was hat seine Frau dazu gesagt?«
»Dass niemand außer ihr im Zimmer gewesen sei.«
»Dann gibt es wohl nur zwei Möglichkeiten. Entweder war sie es selbst, die dort aus Gründen, die sie nicht nennen will, eine Art Säuberung vorgenommen hat. Vielleicht willsie einfach ihre Neugier nicht zugeben. Es ist ihr peinlich, was weiß ich. Oder er selbst hat die Schublade durchwühlt.«
Wallander verlor sich in Gedanken, als er hörte, was Ytterberg sagte. Es war etwas, was er verstehen sollte, ein Zusammenhang, der ganz kurz aufschien, um sogleich wieder unklar zu werden. Aber es gelang ihm nicht, den Gedanken festzuhalten. »Lass uns noch einmal zur Sicherheitspolizei zurückkommen«, sagte er. »Können die etwas gegen ihn in der Hand haben? Einen alten Verdacht, der in einer verstaubten Schublade gelegen hat und jetzt plötzlich wieder interessant wird?«
»Diese Frage habe ich auch gestellt. Und erhielt eine sehr diffuse Antwort. Das kann man auf zweierlei Weise deuten. Entweder da ist nichts, oder der Sicherheitsmann, der mich besucht hat, wusste nicht Bescheid. Das ist denkbar. Wir haben wohl alle zuweilen das Gefühl, dass die Leute intern zwar eine Menge Geheimnisse haben, es aber nicht immer vermeiden können, ihr Wissen an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.«
»Aber gab es etwas gegen von Enke?«
Ytterberg machte eine ausladende Handbewegung und traf den Kaffeebecher, der umkippte, so dass der Kaffee über die Tischplatte lief. Wütend warf Ytterberg den Becher in den Papierkorb und wischte den Tisch und die durchnässten Papiere mit einem Handtuch ab, das auf einem Regal neben dem Schreibtisch lag. Wallander vermutete, dass die Episode mit dem Kaffeebecher kein Einzelfall war.
»Es gab nichts«, sagte Ytterberg. »Håkan von Enke ist ein durch und durch ehrenhafter schwedischer Militär. Ich habe mit einem Mann gesprochen, dessen Namen ich wieder vergessen habe. Er hat Zugang zu den Personalakten der Marineoffiziere und versichert, Håkan von Enke sei eine Sonne ohne Flecken. Er legte eine schnelle Karriere hin, wurde ziemlich früh Korvettenkapitän. Aber danach war Stillstand. Die Karriere verebbte, kann man sagen.«
Wallander dachte an das, was Sten Nordlander über von Enke gesagt hatte, nämlich dass er seine Karriere aufs Spiel gesetzt
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