Wallander 09 - Der Feind im Schatten
wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Sie ist ganz sicher, dass Louise seit Mittwoch nicht in der Wohnung gewesen ist. Alles war exakt so, wie sie es hinterlassen hatte. Louise war noch nie so lange fort, ohne ihr Bescheid zu geben. Aber es war keine Nachricht da, nichts, nur die leere Wohnung. Daraufhin rief Sofia Louises Sohn in Kopenhagen an, der ihr erklärte, er habe zuletzt am Sonntag mit seiner Mutter gesprochen, also vor fünf Tagen. Und er wiederum rief mich an. Verstehst du übrigens, womit er sich beschäftigt?«
»Geld«, sagte Wallander. »Nichts als Geld.«
»Das hört sich nach einer faszinierenden Beschäftigung an«, sagte Ytterberg.
Dann wandte er sich wieder seinen Notizen zu. »Hans gab mir Sofias Telefonnummer, und zusammen sind wir dieWohnung durchgegangen. Es zeigte sich, dass die bulgarische Dame ziemlich eingehende Kenntnisse über den Inhalt der Wohnung, Kleiderschränke und dergleichen hatte. Sie sagte mir, was ich am wenigsten von allem hören wollte. Ich nehme an, du weißt, was ich meine?«
»Ja«, sagte Wallander. »Dass nichts fehlte.«
»Ganz genau. Keine Handtasche, keine Kleider, keine Brieftasche, nicht einmal der Pass. Er lag in der Schublade, in der er, wie Sofia wusste, immer lag.«
»Ihr Handy?«
»Lag zum Aufladen in der Küche. Als ich das entdeckte, wurde mir wirklich mulmig, muss ich sagen.«
Wallander dachte nach. Er hätte sich nie vorstellen können, dass auf das Verschwinden Håkan von Enkes ein weiteres folgen würde. »Das sieht nicht gut aus«, sagte er schließlich. »Gibt es eine plausible Erklärung?«
»Ich sehe keine. Ich habe ihre engsten Freundinnen angerufen, doch seit Sonntag hat niemand sie gesehen oder von ihr gehört. Zuletzt hat sie eine Frau mit Namen Katarina Lindén angerufen und sie nach ihren Erfahrungen mit einem Hochgebirgshotel in Norwegen gefragt, das die Freundin anscheinend besucht hatte. Katarina Lindén zufolge hörte sie sich an wie immer. Danach hat keiner mehr mit ihr gesprochen. Wir werden in der Gruppe, die im Fall ihres verschwundenen Mannes ermittelt, darüber beratschlagen. Ich wollte dich nur vorher anrufen. Vor allem auch, um zu hören, wie du reagierst.«
»Mein erster Gedanke ist, dass sie weiß, wo Håkan sich aufhält, und dass sie zu ihm gefahren ist. Aber der Pass und das Handy sprechen natürlich dagegen.«
»So etwa habe ich auch gedacht. Aber ich habe meine Zweifel, genau wie du.«
»Kann es trotz allem eine rationale Erklärung geben? Kann sie krank geworden und auf der Straße zusammengebrochen sein?«
»Die Krankenhäuser habe ich als Erstes angerufen. Sofias Angaben zufolge, die zu bezweifeln kein Anlass besteht, hatte Louise immer einen Ausweis bei sich, in der Jacke oder im Mantel. Da wir ihn nicht gefunden haben, ist anzunehmen, dass sie ihn bei sich hatte, als sie das Haus verließ.«
Wallander überlegte, warum Louise ihm nicht erzählt hatte, dass dreimal in der Woche eine Reinigungshilfe kam. Auch Hans hatte sie nicht erwähnt. Aber das musste natürlich nichts bedeuten. Die Familie von Enke gehörte einer gehobenen Gesellschaftsschicht an, wo Putzfrauen etwas Selbstverständliches waren. Man erwähnte sie nicht, es gab sie einfach.
Ytterberg versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten. Als sie das Gespräch gerade beenden wollten, fragte Wallander, ob Ytterberg mit Atkins gesprochen habe, als dieser in Stockholm war.
»Kann er irgendeine Information haben?«, sagte Ytterberg zweifelnd.
Wallander fand es seltsam, dass Ytterberg nicht wusste, wie nahe die Familien einander gestanden hatten. Oder hatte Atkins ihm etwas anderes erzählt als Wallander?
»Wie spät ist es jetzt in Kalifornien?«, fragte Ytterberg. »Es hat wenig Sinn, die Leute mitten in der Nacht anzurufen und zu wecken.«
»Der Unterschied zur Ostküste der USA beträgt sechs Stunden«, sagte Wallander. »Aber Kalifornien weiß ich nicht. Ich kann es aber herausfinden und ihn anrufen.«
»Tu das«, sagte Ytterberg. »Und lass das Gespräch vermitteln, dann können wir es bezahlen.«
»Mein Diensttelefon ist noch nicht gesperrt«, sagte Wallander. »Ich kann mir nicht denken, dass man die Polizei wegen unbezahlter Telefonrechnungen in Konkurs gehen lässt. Ganz so weit ist es noch nicht gekommen.«
Wallander rief die Auskunft an und erfuhr, dass der Zeitunterschiedneun Stunden betrug. Es war also sechs Uhr am Morgen in San Diego, und er beschloss, mit dem Anruf ein paar Stunden zu warten. Er wählte Lindas Nummer. Sie hatte
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