Wallander 09 - Der Feind im Schatten
seine Meinung. Warum, wusste er nicht. Zumindest auf Ytterberg könnte er sich verlassen. »Eigentlich nicht.«
»Ich melde mich wieder.«
Nach dem kurzen und nichtssagenden Gespräch fuhr Wallander zum Präsidium. Er musste sich an diesem Tag mit einem trostlosen Fall von schwerer Körperverletzung beschäftigen, in dem er als Zeuge einbestellt war. Einer beschuldigte den anderen, und der Verletzte, der seit zwei Wochen im Koma lag, konnte nichts beitragen. Wallander war als erster Polizist am Tatort gewesen und sollte jetzt seine Eindrücke vor Gericht wiedergeben. Inzwischen musste er die größte Mühe aufwenden, um sich an das, was er gesehen hatte, zu erinnern. Sogar der Bericht, den er selbst verfasst hatte, kam ihm unwirklich vor.
Auf einmal stand Linda im Zimmer. Es war halb zwölf. »Ich habe gehört, dass du unerwarteten Besuch hattest«, sagte sie.
Wallander schob die aufgeschlagenen Mappen zur Seite und betrachtete seine Tochter. Sie sah fast wieder aus wie vor der Schwangerschaft, vielleicht hatte sie sogar ein paar Kilo abgenommen. »Du hattest also Mona vor der Tür?«
»Sie hat aus Malmö angerufen. Sie beklagte sich darüber, wie schofel du sie behandelt hättest.«
Wallander war sprachlos. »Was hat sie denn damit gemeint?«
»Du hättest sie kaum hereingelassen, obwohl es ihr schlecht ging. Dann hättest du ihr fast nichts zu Essen gegeben und sie im Schlafzimmer eingeschlossen.«
»Nichts davon stimmt. Verdammte Lügnerin.«
»Rede nicht in dem Ton von meiner Mutter«, sagte Linda, und ihre Miene verfinsterte sich.
»Sie lügt, ob es dir nun gefällt oder nicht. Ich habe sie aufgenommen, ich habe sie hereingelassen, ich habe ihr die Tränen abgewischt und ihr sogar das Bett frisch bezogen.«
»Was ihren neuen Mann betrifft, hat sie jedenfalls nicht gelogen. Ich habe ihn getroffen. Er ist so charmant, wie Psychopathen es im Allgemeinen sind. Mama hat ein komisches Talent, immer auf die falschen Männer hereinzufallen.«
»Danke.«
»Ich meine natürlich nicht dich. Aber dieser verrückte Golfspieler war nicht viel besser als der, mit dem sie jetzt geschlagen ist.«
»Die Frage ist nur, was ich dabei tun kann.«
Linda dachte nach, bevor sie antwortete. Dabei rieb sie mit dem Zeigefinger der linken Hand ihre Nase. Genau wie ihr Großvater, dachte Wallander plötzlich. Es war ihm noch nie aufgefallen, und er musste lachen. Sie sah ihn fragend an. Er erklärte es ihr. Jetzt konnten sie beide lachen.
»Ich habe Klara im Wagen«, sagte sie. »Ich wollte nur ein paar Worte mit dir wechseln wegen dieser Sache mit Mama. Wir können später noch reden.«
»Sitzt die Kleine allein im Wagen?«, sagte Wallander empört. »Wie kannst du sie allein lassen?«
»Eine Freundin ist bei ihr. Was dachtest du denn?«
In der Tür drehte sie sich um. »Mama braucht wohl unsere Hilfe«, sagte sie.
»Ich bin immer hier«, sagte Wallander. »Aber ich möchte, dass sie nüchtern ist, wenn sie kommt. Und vorher anruft.«
»Bist du immer nüchtern? Rufst du immer vorher an, wenn du jemanden besuchst? Ist es dir noch nie schlecht gegangen?«
Sie wartete keine Antwort ab und verschwand im Korridor.
Wallander wollte sich gerade wieder seinem Bericht zuwenden, als Ytterberg anrief. »Ich gehe in ein paar Tagen in Urlaub«, sagte der Kollege. »Ich habe vergessen, es dir zu sagen.«
»Was machst du im Urlaub?«
»Verbringe meine Zeit in einem schön gelegenen alten Bahnwärterhäuschen an einem See in der Nähe von Västerås. Aber lass mich erzählen, wie ich über die Enkes denke. Ich war ein bisschen kurz angebunden, als wir vorhin miteinander gesprochen haben.«
»Ich höre.«
»Lass es mich so sagen. Ich habe zwei Theorien über ihr Verschwinden, und meine Kollegen sind mit mir einig. Ich möchte hören, ob du so denkst wie wir. Entweder haben die beiden ihr Verschwinden gemeinsam geplant. Aus irgendeinem Grund haben sie beschlossen, zu verschiedenen Zeitpunkten abzuhauen. Dafür kann es viele Erklärungen geben. Wenn sie zum Beispiel beabsichtigten, die Identität zu wechseln, kann er an einen unbekannten Ort vorausgefahren sein, um ihre Ankunft vorzubereiten. Er wird ihr auf einem Weg mit Palmblättern und Rosen entgegenkommen, um es mit den Worten der Bibel auszudrücken. Aber es kann natürlich andere Gründe geben. Das ist eine der Richtungen, die wir verfolgen. Dann gibt es die andere denkbare Möglichkeit. Dass sie auf irgendeine Weise Opfer eines Verbrechens geworden sind. Kurz und gut,
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