Wallander 10 - Wallanders erster Fall
ihn herrschte Stille. Er kletterte über das Absperrband und sah sich um. Wenn man einen Menschen umbringen wollte, dann war dies ein ausgezeichneter Ort dafür. Er versuchte, sich vorzustellen, was geschehen war. Holm war mit jemandem zusammen hergekommen. Laut Martinsson gab es nur Spuren von einem Wagen.
Eine Abrechnung, dachte Wallander. Etwas soll übergeben werden, etwas soll bezahlt werden. Dann geschieht etwas. Holm wird in den Nacken geschossen. Er ist tot, bevor er zu Boden fällt. Der Mörder verschwindet spurlos.
Ein Mann, dachte Wallander. Oder mehr als einer. Derselbe oder dieselben, die ein paar Tage zuvor die Schwestern Eberhardsson getötet hatten.
Plötzlich hatte er das Gefühl, sich irgend etwas zu nähern. Einer weiteren Verbindung, die er entdecken müßte, wenn er sich nur |367| anstrengte. Daß es um Drogengeschäfte ging, erschien ihm offensichtlich. Auch wenn es immer noch schwer vorstellbar war, daß zwei Schwestern, die ein Handarbeitsgeschäft führten, in so etwas verwickelt sein sollten. Aber Rydberg hatte recht. Sein erster Kommentar – was sie eigentlich von den beiden Schwestern wüßten – war berechtigt gewesen.
Wallander verließ den Waldweg und fuhr weiter. Er hatte Martinssons Karte deutlich vor seinem inneren Auge. In dem großen Kreisverkehr südlich von Sjöbo mußte er nach rechts abbiegen. Dann die zweite Straße, eine Schotterstraße, nach links, das letzte Haus auf der rechten Seite, eine rote Scheune an der Straße. Blauer, halbzerfallener Briefkasten. Zwei Schrottautos und ein rostiger Traktor auf einem Hof neben der Scheune. Bellender Hund unbestimmter Rasse in einem großen Zwinger. Er hatte keine Schwierigkeiten, es zu finden. Schon bevor er die Wagentür öffnete, hörte er den Hund. Er stieg aus und betrat den Hof. Vom Wohnhaus war die Farbe abgeblättert. Fallrohre hingen in Stücken an den Giebeln. Der Hund bellte wie wild und sprang am Gitter hoch. Wallander fragte sich, was passieren würde, wenn es zusammenbrach und der Hund frei wäre. Er ging zur Haustür und drückte auf einen Klingelknopf. Dann sah er, daß die Leitung durchgeschnitten war. Er klopfte und wartete. Schließlich hämmerte er so fest gegen die Tür, daß sie aufging. Er rief hinein, ob jemand zu Hause sei. Noch immer keine Antwort. Ich sollte nicht reingehen, dachte er. Dann breche ich eine ganze Reihe von Regeln, die nicht nur für Polizisten, sondern für jedermann gelten. Doch er schob die Tür auf und ging hinein. Lose hängende Tapeten, stickige Luft, Tohuwabohu. Zerrissene Sofas, Matratzen auf dem Boden. Allerdings ein Fernseher mit Großbildschirm und ein Videogerät der modernsten Sorte. C D-Spieler mit enormen Boxen. Er rief noch einmal und lauschte. Keine Antwort. In der Küche herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle. Papiertüten, Plastiktüten, leere Pizzaverpackungen auf dem Boden, über den mehrere Ameisenstraßen verliefen.
In einer Ecke huschte eine Maus vorbei. Es roch muffig. Wallander ging weiter. Blieb vor einer Tür stehen, an die »Yngves Kirche« |368| gesprayt war. Er schob die Tür auf. Dahinter gab es ein richtiges Bett. Aber nur mit einem Laken und einer Decke. Eine Kommode, zwei Stühle. Auf der Fensterbank ein Radio. Eine Uhr, die um zehn Minuten vor sieben stehengeblieben war. Hier hatte also Yngve Leonard Holm gewohnt. Während er gleichzeitig ein großes Haus in Ystad baute. Auf dem Boden lag das Oberteil eines Trainingsanzugs. Den hatte er getragen, als Wallander ihn verhört hatte. Wallander setzte sich vorsichtig auf die Bettkante, aus Angst, das Bett könnte zusammenbrechen, und sah sich um. Hier hatte ein Mensch gewohnt, dachte er. Ein Mensch, der davon lebte, andere Menschen in verschiedene Varianten der Drogenhölle zu treiben. Er schüttelte verständnislos den Kopf. Dann beugte er sich nach vorn und sah unter das Bett. Große Wollmäuse. Ein Hausschuh und ein paar Pornozeitschriften. Er stand auf und zog die Schubladen der Kommode heraus. Noch mehr Zeitschriften mit unbekleideten Damen mit gespreizten Beinen. Manche von ihnen erschreckend jung. Unterwäsche, Kopfschmerztabletten, Pflaster.
Nächste Schublade. Eine alte Lötlampe, wie man sie früher verwendete, um die Motoren von Fischerbooten in Gang zu bekommen. In der letzten Schublade lag ein Haufen hineingeworfener Papiere. Alte Schulzeugnisse. Wallander las, daß Holm ausschließlich in dem Fach »Gut« bekommen hatte, das auch sein eigenes
Weitere Kostenlose Bücher