Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Wallander erwartet. Deswegen hatte er auch eine Antwort parat. »Diese Ermittlung wird ein bißchen nebenher geführt«, antwortete er. »Aus Gründen, die ich dir nicht nennen kann.«
Er merkte, daß sie ihm nur teilweise glaubte. Gleichzeitig wirkte sie belustigt. »Ich kann ja mal einen meiner Kollegen fragen«, sagte sie. »Wir haben hier einen alten Kapitän. Und was bekomme ich dafür, wenn ich dir helfe?«
»Was willst du denn haben?« fragte er so freundlich, wie er konnte.
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts.«
Wallander erhob sich. »Ich habe dieselbe Telefonnummer wie früher«, sagte er.
»Meine hat sich geändert«, antwortete Helena, »aber du bekommst sie nicht.«
Als Wallander wieder auf der Straße stand, merkte er, daß ihm der Schweiß ausgebrochen war. Die Begegnung mit Helena war anstrengender gewesen, als er sich hatte eingestehen wollen. Er blieb stehen und fragte sich, was er tun sollte. Hätte er mehr Geld bei sich gehabt, hätte er nach Kopenhagen hinüberfahren können. Aber er durfte nicht vergessen, daß er sich krank gemeldet hatte. Jemand könnte bei ihm zu Hause anrufen. Er durfte nicht zu lange von zu Hause wegbleiben. Es fiel ihm immer schwerer, zu begründen, warum er seinem toten Nachbarn so viel Zeit widmete. Er ging in ein Café gegenüber dem Fähranleger. Bevor er bestellte, überschlug er, wieviel Geld er hatte. Am nächsten Tag würde er zur Bank gehen müssen. Dort lagen immer noch tausend Kronen. Das würde bis Ende des Monats reichen. Er aß Gulasch und trank Wasser.
Um ein Uhr stand er wieder auf der Straße. Neue Unwetter zogen von Südwesten heran. Er beschloß, nach Hause zu fahren. Aber als er einen Bus sah, der hinaus zum Vorort des Vaters fuhr, nahm er den. Wenn er schon sonst nichts tat, konnte er ja seinem Vater ein paar Stunden beim Packen helfen.
Im Haus herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Der Vater saß mit einem kaputten Strohhut auf dem Kopf da und las in einer alten Zeitung. Er blickte Wallander erstaunt an.
|66| »Hast du aufgehört?« fragte er.
»Aufgehört womit?«
»Ich meine, ob du zur Vernunft gekommen bist und aufgehört hast, als Polizist zu arbeiten.«
»Ich habe heute frei«, erwiderte Wallander. »Und es hilft überhaupt nichts, daß du dieses Thema immer wieder aufgreifst. Wir werden uns nie einigen.«
»Ich habe eine Zeitung aus dem Jahr 1949 gefunden«, sagte sein Vater. »Darin steht viel Interessantes.«
»Du hast doch wohl keine Zeit, zwanzig Jahre alte Zeitungen zu lesen.«
»Damals habe ich es nicht geschafft«, sagte sein Vater. »Unter anderem deshalb, weil ich einen zweijährigen Sohn im Haus hatte, der den ganzen Tag geschrien hat. Deshalb lese ich sie jetzt.«
»Ich hatte eigentlich vor, dir beim Packen zu helfen.«
Der Vater zeigte auf einen Tisch, auf dem Porzellan stand. »Das da soll in Kisten verpackt werden«, sagte er. »Aber es muß ordentlich gemacht werden. Es darf nichts kaputtgehen. Wenn ich einen kaputten Teller finde, mußt du ihn ersetzen.«
Der Vater wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Wallander hängte seine Jacke auf und begann, das Porzellan einzupacken. Er konnte sich aus seiner Jugend an die Teller erinnern. Besonders erinnerte er sich an eine Tasse, aus der eine Ecke herausgebrochen war. Im Hintergrund blätterte der Vater die Seite um.
»Was ist das für ein Gefühl?« fragte Wallander.
»Was für ein Gefühl meinst du?«
»Umzuziehen.«
»Gut. Veränderung ist schön.«
»Und du hast das Haus noch immer nicht gesehen?«
»Nein, aber es wird mir mit Sicherheit gefallen.«
Mein Vater ist entweder verrückt, oder er wird langsam senil, dachte Wallander. Und ich kann nichts dagegen tun.
»Sollte Kristina nicht kommen?« fragte er.
»Sie ist einkaufen.«
»Ich würde sie gern sehen. Wie geht es ihr?«
»Gut. Außerdem hat sie einen prima Mann kennengelernt.«
»Ist er mitgekommen?«
|67| »Nein, aber er scheint in jeder Hinsicht in Ordnung zu sein. Er wird schon dafür sorgen, daß ich bald Enkel bekomme.«
»Wie heißt er? Was tut er? Muß man dir alles aus der Nase ziehen?«
»Er heißt Jens und ist Dialyseforscher.«
»Was ist denn das?«
»Nieren, falls du mal davon gehört hast. Er ist Forscher. Außerdem liebt er es, Niederwild zu jagen.«
»Hört sich wirklich nach einem ausgezeichneten Mann an.«
Im gleichen Augenblick fiel Wallander ein Teller auf den Boden. Er zerbrach in zwei Teile.
Der Vater hob die Augen nicht von der Zeitung. »Das wird teuer«, sagte er
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