Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Polizeipräsidium an und meldete sich krank. Als Ursache gab er eine Magen-Darm-Grippe an. Mona war in der Woche davor krank gewesen. Zu seiner Verwunderung hatte er überhaupt kein schlechtes Gewissen.
Es war bewölkt, aber trocken, als er kurz nach neun am Vormittag aus dem Haus ging. Es war windig und merklich kühler geworden. Der Sommer war noch nicht richtig in Gang gekommen.
Es gab zwei Tabakgeschäfte im Viertel, in denen Tippscheine angenommen wurden. Das eine lag in einer Seitenstraße ganz in der Nähe. Als Wallander eintrat, fiel ihm ein, daß er ein Foto von Hålén hätte mitnehmen sollen. Der Mann hinter dem Ladentisch war Ungar. Obwohl er seit 1956 in Schweden lebte, sprach er sehr schlecht Schwedisch. Aber er kannte Wallander, der bei ihm Zigaretten kaufte.
Das tat er auch jetzt, zwei Päckchen.
»Nehmen sie Tippscheine an?« fragte Wallander.
»Ich dachte, Sie kaufen nur Lose.«
»Hat Artur Hålén bei ihnen seine Tippscheine abgegeben?«
»Wer?«
»Der Mann, der vor ein paar Tagen bei dem Brand umgekommen ist.«
»Hat es einen Brand gegeben?«
Wallander erklärte, worum es ging. Aber der Mann hinter der Theke schüttelte den Kopf, als Wallander Hålén beschrieb.
»Er ist nicht hergekommen. Er muß zu jemand anderem gegangen sein.«
Wallander bezahlte und bedankte sich. Nieselregen hatte eingesetzt. Er beschleunigte seine Schritte. Die ganze Zeit dachte er an Mona. Auch mit dem nächsten Tabakgeschäft hatte Hålén nichts zu tun gehabt. Wallander stellte sich unter einen vorspringenden Balkon und fragte sich, was er da eigentlich tat. Hemberg würde glauben, daß ich nicht ganz gescheit bin, dachte er.
Dann ging er weiter. Bis zum nächsten Tabakladen brauchte er ungefähr zehn Minuten. Wallander bereute, daß er seine Regenjacke nicht angezogen hatte. Als er bei dem Laden ankam, der neben einem kleinen Lebensmittelgeschäft lag, mußte er warten. Die |59| Verkäuferin war eine junge Frau in Wallanders Alter. Sie war schön. Wallander konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen, während sie nach einer alten Nummer einer Motorradzeitschrift suchte, die der Kunde vor ihm haben wollte. Es fiel Wallander immer schwer, sich nicht spontan in eine schöne Frau zu verlieben, die seinen Weg kreuzte.
Da, und erst da, kamen seine quälenden Gedanken wegen Mona für einen Augenblick zur Ruhe.
Obwohl er schon zwei Päckchen Zigaretten gekauft hatte, kaufte er noch eins. Er versuchte sich vorzustellen, ob die Verkäuferin eine Frau war, die unangenehm berührt wäre, wenn er sagte, daß er Polizist war. Oder ob sie zur Mehrheit der Bevölkerung gehörte, die trotz allem immer noch der Meinung war, daß die meisten Polizisten nicht nur notwendig, sondern auch mit einer anständigen Arbeit befaßt waren. Er setzte auf das zweite.
»Ich habe noch ein paar Fragen«, sagte er, nachdem er seine Zigaretten bezahlt hatte. »Ich bin Kriminalassistent und heiße Kurt Wallander.«
»Ach«, sagte die Verkäuferin, »und wie kann ich Ihnen helfen?« Ihr Dialekt war ungewohnt.
»Sie sind nicht hier aus der Stadt«, sagte er.
»War es das, was Sie fragen wollten?«
»Nein.«
»Ich komme aus Lenhovda.«
Wallander wußte nicht, wo Lenhovda lag. Er tippte auf Blekinge, sagte es aber nicht, sondern kam zu der Frage nach Hålén und den Tippscheinen. Sie hatte von dem Brand gehört. Wallander beschrieb Håléns Aussehen. Sie überlegte.
»Vielleicht«, meinte sie. »Hat er schleppend gesprochen? Schweigsam sozusagen?«
Wallander dachte ein wenig nach. Das konnte auf Håléns Art und Weise, sich auszudrücken, durchaus zutreffen.
»Ich glaube, er spielte ein ziemlich kleines System«, sagte Wallander. »Zweiunddreißig Reihen oder so.«
Sie überlegte wieder. Dann nickte sie. »Doch«, sagte sie, »der ist hergekommen. Einmal in der Woche. Er hat abwechselnd zweiunddreißig und vierundsechzig Reihen getippt.«
|60| »Erinnern Sie sich daran, was er anhatte?«
»Eine blaue Jacke«, antwortete sie sofort.
Wallander erinnerte sich, daß Hålén fast jedesmal, wenn er ihn getroffen hatte, eine blaue Jacke mit Reißverschluß trug.
Das Erinnerungsvermögen der Verkäuferin war ausgeprägt. Ihre Neugier ebenso.
»Hat er was ausgefressen?«
»Nicht, soweit wir wissen.«
»Ich habe gehört, daß es Selbstmord gewesen sein soll.«
»Das war es auch. Aber der Brand ist gelegt worden.«
Das hätte ich nicht sagen sollen, dachte Wallander. Das wissen wir noch nicht mit Sicherheit.
»Er hatte immer
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