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Wallander 10 - Wallanders erster Fall

Wallander 10 - Wallanders erster Fall

Titel: Wallander 10 - Wallanders erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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die Pistole, die jetzt auf seine Stirn gerichtet war, würde ihn nicht verfehlen. Er würde sterben. An Heiligabend. In einem Lebensmittelgeschäft am Rande von Malmö. Einen vollkommen sinnlosen Tod, mit dem Mona und Linda von nun an leben müßten.
    Unwillkürlich schloß er die Augen. Vielleicht, um nicht hinsehen zu müssen. Oder um sich unsichtbar zu machen. Doch dann schlug er sie wieder auf. Die Pistole war immer noch auf seine Stirn gerichtet.
    Wallander konnte seinen eigenen Atem hören. Jedes Ausatmen klang wie ein Stöhnen. Der Mann, der die Pistole auf ihn gerichtet hielt, atmete vollkommen lautlos. Er schien von der Situation völlig unberührt zu sein.
    Wallander starrte abwechselnd auf die Pistole und die Maske mit den dunklen Löchern. »Nicht schießen«, sagte er und hörte, daß seine Stimme brüchig und stammelnd klang.
    Der Mann reagierte nicht.
    Wallander streckte die Hände vor. Er hatte keine Waffe. Er hatte nicht die Absicht, Widerstand zu leisten.
    »Ich wollte nur einkaufen«, sagte Wallander. Dann zeigte er auf eines der Regale. Er achtete genau darauf, daß die Handbewegung nicht zu ruckhaft war.
    »Ich war auf dem Heimweg«, sagte er. »Sie warten zu Hause. Ich habe eine Tochter. Sie ist fünf Jahre alt.«
    Der Mann antwortete nicht. Wallander konnte überhaupt keine Reaktion erkennen.
    Er versuchte zu denken. Vielleicht war es doch falsch, sich als ein verspäteter Kunde auszugeben? Vielleicht sollte er lieber die Wahrheit sagen? Daß er Polizist war und herbeordert worden war, weil Elma Hagman angerufen und erzählt hatte, daß ein unbekannter Mann um ihren Laden strich?
    Er wußte es nicht. Die Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Aber sie kehrten immer wieder zum selben Ausgangspunkt zurück.
    |137|
Warum haut er nicht ab? Worauf wartet er?
    Plötzlich machte der Mann einen Schritt zurück. Die Pistole wies weiterhin auf Wallanders Kopf. Mit dem Fuß zog er einen kleinen Hocker heran. Dann deutete er mit der Pistole darauf, die er anschließend sofort wieder auf Wallander richtete.
    Wallander begriff, daß er sich setzen sollte. Wenn er mich nur nicht wieder fesselt, dachte er. Wenn es bei Hembergs Auftauchen zu einem Schußwechsel kommt, will ich nicht gefesselt hier sitzen.
    Er ging langsam vor und setzte sich auf den Hocker. Der Mann war ein paar Schritte zurückgetreten. Als Wallander sich gesetzt hatte, steckte er die Pistole in seinen Gürtel.
    Er weiß, daß ich die tote Frau gesehen habe, dachte Wallander. Er war irgendwo hier im Laden, ohne daß ich ihn entdeckt habe. Deswegen hält er mich hier fest. Er wagt es nicht, mich gehen zu lassen. Deswegen hatte er mich gefesselt.
    Wallander überlegte, ob er sich auf den Mann stürzen und dann aus dem Laden rennen sollte. Aber da war die Waffe. Und die Ladentür war wahrscheinlich inzwischen verschlossen. Wallander verwarf den Gedanken. Der Mann machte den Eindruck, als beherrsche er die Situation vollständig.
    Bisher hat er noch nichts gesagt, dachte Wallander. Es ist immer leichter, sich auf einen Menschen einzustellen, wenn man seine Stimme gehört hat. Aber dieser Mann hier ist stumm.
    Wallander machte eine langsame Kopfbewegung. Als sei sein Nacken steif geworden. In Wirklichkeit wollte er einen Blick auf seine Armbanduhr werfen.
    Fünf nach halb sieben. Jetzt müßte Mona unruhig werden. Vielleicht war sie schon unruhig geworden. Aber ich kann nicht damit rechnen, daß sie schon angerufen hat. Es ist noch zu früh. Sie ist viel zu sehr daran gewöhnt, daß ich später komme.
    »Ich weiß nicht, warum Sie mich hier festhalten wollen«, sagte Wallander. »Ich weiß nicht, warum Sie mich nicht gehen lassen.«
    Keine Antwort. Der Mann zuckte zusammen, sagte aber nichts.
    Für ein paar Minuten war Wallanders Angst verflogen, aber jetzt kam sie mit voller Kraft zurück.
    Irgendwie muß der Mann verrückt sein, dachte Wallander. Er |138| beraubt an Heiligabend einen Laden, erschlägt eine wehrlose alte Frau, fesselt mich und bedroht mich mit einer Pistole.
    Und er flieht nicht. Vor allem das. Er bleibt einfach da.
    Das Telefon neben der Kasse begann zu klingeln. Wallander fuhr zusammen. Aber der Mann mit der Maske blieb ungerührt. Er schien nicht zu hören.
    Es klingelte weiter.
    Der Mann stand reglos.
    Wallander versuchte sich vorzustellen, wer der Anrufer sein könnte. Jemand, der sich fragte, warum Elma Hagman nicht nach Hause kam? Das war am wahrscheinlichsten. Sie hätte jetzt längst ihren Laden geschlossen. Es war

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