Wallander 10 - Wallanders erster Fall
gehängt zu werden.
Im Kopf zog er ein schnelles Resümee. Ein junger Südafrikaner, der Oliver hieß, hatte Elma Hagman getötet. Soviel wußte er. Nicht mehr und nicht weniger.
Niemand würde mir glauben, dachte Wallander. So etwas geschieht einfach nicht. Nicht in Schweden und nicht am Heiligen Abend.
»Sie fing an zu rufen«, sagte Oliver.
|143| »Sie hat wohl Angst bekommen. Ein vermummter Mann, der in einen Laden kommt, ist erschreckend«, sagte Wallander. »Besonders, wenn er eine Pistole oder ein Eisenrohr in der Hand hat.«
»Sie hätte nicht rufen sollen«, sagte Oliver.
»Sie hätten sie nicht erschlagen sollen«, erwiderte Wallander. »Sie hätte Ihnen das Geld auch so gegeben.«
Oliver zog die Pistole aus dem Gürtel. Es ging so schnell, daß Wallander überhaupt nicht reagieren konnte. Wieder sah er die Pistole auf sich gerichtet.
»Sie hätte nicht rufen sollen«, wiederholte Oliver, und jetzt war seine Stimme vor Angst und Erregung unsicher. »Ich kann dich töten«, fuhr er fort.
»Ja«, sagte Wallander, »das kannst du. Aber warum solltest du?«
»Sie hätte nicht rufen sollen.«
Wallander erkannte, daß er sich gründlich geirrt hatte. Der Südafrikaner war alles andere als kontrolliert und ruhig. Er befand sich an der Grenze eines Zusammenbruchs. Was es war, das da zerbrach, wußte Wallander nicht. Aber jetzt begann er ernsthaft zu fürchten, was geschehen würde, wenn Hemberg käme. Es könnte das reine Massaker werden.
Ich muß ihn entwaffnen, dachte Wallander. Das ist das wichtigste. Ich muß ihn vor allen Dingen dazu bringen, die Pistole wieder in den Gürtel zu stecken. Dieser Mann ist absolut fähig, wild um sich zu schießen. Hemberg ist sicher schon unterwegs, und er ahnt nichts. Selbst wenn er befürchtet, daß etwas passiert ist, erwartet er nicht das hier. Genausowenig, wie ich es erwartet habe. Es kann die reine Katastrophe werden.
»Wie lange sind Sie schon hier?« fragte er.
»Drei Monate.«
»Länger nicht?«
»Ich komme aus Westdeutschland«, sagte Oliver. »Aus Frankfurt. Da konnte ich nicht bleiben.«
»Warum nicht?«
Oliver antwortete nicht. Wallander ahnte, daß es vielleicht nicht das erstemal war, daß Oliver sich eine Mütze über den Kopf gezogen und einen einsam gelegenen Laden überfallen hatte. Er konnte auf der Flucht vor der westdeutschen Polizei sein.
|144| Und das wiederum bedeutete, daß er sich illegal in Schweden aufhielt.
»Was ist denn passiert?« fragte Wallander. »Nicht in Frankfurt, sondern in Südafrika. Warum mußten Sie fliehen?«
Oliver machte einen Schritt auf Wallander zu. »Was wissen Sie von Südafrika?«
»Nicht viel. Eigentlich nur, daß die Schwarzen sehr schlecht behandelt werden.« Wallander biß sich auf die Zunge. Durfte man »Schwarze« sagen? War das diskriminierend?
»Mein Vater ist von der Polizei getötet worden. Sie haben ihn mit einem Hammer erschlagen und ihm seine eine Hand abgeschlagen. Sie ist irgendwo in einem Glas mit Alkohol. Vielleicht in Xanderten. Vielleicht irgendwo sonst in den weißen Vorstädten von Johannesburg, als Souvenir. Und das einzige, was er getan hat, war, dem ANC anzugehören. Das einzige, was er getan hat, war, mit seinen Arbeitskollegen zu reden. Über Widerstand und Freiheit.«
Wallander zweifelte nicht daran, daß Oliver die Wahrheit sagte. Seine Stimme war jetzt ruhig trotz der Dramatik der Situation. Es gab keinen Platz für Lügen.
»Die Polizei fing an, nach mir zu suchen«, fuhr Oliver fort. »Ich habe mich versteckt. Jede Nacht habe ich in einem anderen Bett geschlafen. Schließlich kam ich nach Namibia und von da nach Europa, bis Frankfurt. Und dann hierhin. Aber ich bin immer noch auf der Flucht. Eigentlich gibt es mich gar nicht.«
Oliver verstummte.
Wallander horchte, ob er schon Autos näher kommen hörte. »Sie brauchten Geld«, sagte er. »Sie haben diesen Laden hier gefunden. Die Frau hat um Hilfe gerufen, und Sie haben sie erschlagen.«
»Sie haben meinen Vater mit einem Hammer ermordet. Und seine eine Hand steckt in einem Glas mit Alkohol.«
Er ist verwirrt, dachte Wallander. Hilflos und außer sich. Er weiß nicht, was er tut.
»Ich bin Polizist«, sagte Wallander, »aber ich habe nie jemandem mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen, wie Sie mich geschlagen haben.«
|145| »Ich wußte nicht, daß Sie Polizist sind.«
»Im Moment ist das Ihr Glück. Man hat angefangen, nach mir zu suchen. Meine Kollegen wissen, daß ich hier bin. Zusammen müssen wir jetzt die
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