Wallander 10 - Wallanders erster Fall
friedlos«, wiederholte er dann. »Es gefällt mir nicht, daß ausländische Kriminelle unser Land überschwemmen.«
»Das stimmt ja so auch nicht«, erwiderte Wallander. Dann wurde es still. Weder Hemberg noch Wallander waren in der Lage, das Gespräch fortzusetzen. Sie wußten beide, daß sie sich nicht einigen würden.
Auch hier gibt es einen Riß, dachte Wallander. Eben saß ich noch in einem Riß eingeklemmt, und jetzt stecke ich mitten in einem anderen fest, der zwischen mir und Hemberg aufbricht.
»Warum ist er eigentlich hier im Laden geblieben?« fragte Hemberg.
»Wohin hätte er denn gehen sollen?«
Keiner von beiden hatte etwas hinzuzufügen.
»Deine Frau hat angerufen«, sagte Hemberg nach einer Weile. »Sie wollte wissen, warum du nicht nach Hause kommst. Du hattest offenbar angerufen und ihr gesagt, du wärst unterwegs.«
Wallander dachte an das Telefongespräch zurück. Den kurzen Streit. Aber er fühlte nichts als Erschöpfung und Leere. Er vertrieb diese Gedanken.
»Du solltest besser zu Hause anrufen«, sagte Hemberg.
Wallander sah ihn an. »Und was soll ich sagen?«
»Daß du aufgehalten wurdest. Aber wenn ich du wäre, würde ich nicht im Detail erzählen, was passiert ist. Damit würde ich warten, bis ich zu Hause bin.«
|148| »Bist du nicht unverheiratet?«
Hemberg lächelte. »Ich kann mir doch trotzdem vorstellen, wie es ist, wenn man jemanden hat, der zu Hause auf einen wartet.«
Wallander nickte. Dann erhob er sich schwerfällig vom Stuhl. Sein ganzer Körper schmerzte. Die Übelkeit kam und ging in Wellen.
Er bahnte sich einen Weg zwischen Sjunnesson und den Kollegen von der Spurensicherung hindurch, die bereits bei der Arbeit waren.
Als er nach draußen kam, blieb er ganz still stehen und sog die kalte Luft tief in seine Lungen. Dann ging er weiter zu einem der Streifenwagen. Er setzte sich auf den Vordersitz, sah auf das Funkgerät und dann auf seine Armbanduhr. Zehn Minuten nach acht.
Heiligabend 1975.
Durch die nasse Frontscheibe entdeckte er eine Telefonzelle neben der Tankstelle. Er stieg aus und ging hinüber. Wahrscheinlich war sie kaputt, aber er wollte wenigstens einen Versuch machen.
Ein Mann mit einem Hund an der Leine stand im Regen und beobachtete die Streifenwagen und den erleuchteten Laden. »Was ist denn passiert?« fragte er. Stirnrunzelnd betrachtete er Wallanders zerkratztes Gesicht.
»Nichts«, sagte Wallander. »Ein Unglück.«
Der Mann mit dem Hund begriff, daß Wallander weiter nichts sagen konnte, und stellte keine weiteren Fragen.
»Frohe Weihnachten«, sagte er nur.
»Danke, gleichfalls«, erwiderte Wallander.
Dann rief er Mona an.
Der Regen nahm wieder zu.
Gleichzeitig setzte der Wind ein.
Ein böiger Wind aus Norden.
|149| Der Mann am Strand
|151| Am Nachmittag des 26. April 1987 saß Kriminalkommisar Kurt Wallander in seinem Dienstzimmer im Polizeipräsidium von Ystad und schnitt sich gedankenverloren Haare aus dem einen Nasenloch. Es war kurz nach fünf. Er hatte gerade eine Mappe zugeklappt, in der Material über die trostlose Fahndung nach einer Autoschieberbande gesammelt war, die gestohlene Luxusautos nach Polen schmuggelte. Die Ermittlung konnte sich inzwischen, gewisse Unterbrechungen eingerechnet, der zweifelhaften Ehre eines zehnjährigen Bestehens erfreuen. Sie war angelaufen, als Wallander gerade erst in Ystad zu arbeiten begonnen hatte. Insgeheim hatte er sich oft gefragt, ob sie auch an dem in ferner Zukunft liegenden Tag seiner Pensionierung noch weiterlaufen würde.
Auf seinem Schreibtisch war ausnahmsweise einmal vollkommene Ordnung. Längere Zeit hatte dort das Chaos geherrscht, und er hatte das schlechte Wetter zum Vorwand genommen, um zu arbeiten, denn er war Strohwitwer.
Einige Tage zuvor waren Mona und Linda auf die Kanarischen Inseln geflogen. Für Wallander war diese Reise eine totale Überraschung gewesen. Er hatte nichts davon gewußt, daß Mona das Geld dafür zusammengespart hatte, und auch Linda hatte nichts gesagt. Gegen den Widerstand ihrer Eltern hatte sie vor kurzem das Gymnasium geschmissen. Im Augenblick machte sie vor allem einen zornigen, müden und verwirrten Eindruck. Er hatte die beiden frühmorgens nach Sturup gefahren und auf dem Rückweg nach Ystad gedacht, daß er eigentlich nichts dagegen hatte, ein paar Wochen ganz für sich allein zu haben. Seine Ehe mit Mona knackte in allen Fugen. Woran es lag, wußte keiner von ihnen. Aber beiden war klar, daß in den letzten Jahren Linda
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