Wallander 10 - Wallanders erster Fall
ihre Beziehung zusammengehalten hatte. Was würde passieren, jetzt, wo sie |152| die Schule aufgegeben und angefangen hatte, ihren eigenen Weg zu gehen?
Er stand auf und trat ans Fenster. Der Wind zerrte und rüttelte an den Bäumen auf der anderen Straßenseite. Es nieselte. Das Thermometer zeigte vier Grad über Null. Noch war der Frühling in weiter Ferne.
Er zog die Jacke an und verließ das Zimmer. An der Anmeldung nickte er der Wochenendvertretung zu, die am Telefon sprach. Er fuhr mit dem Wagen ins Zentrum. Während er überlegte, was er fürs Abendessen einkaufen sollte, schob er eine Kassette mit Maria Callas in den Kassettenspieler.
Sollte er überhaupt etwas einkaufen? Hatte er überhaupt Hunger? Seine Unentschlossenheit ärgerte ihn. Gleichzeitig hatte er keine Lust, wieder in seine alte Unart zu verfallen und an irgendeinem Imbißstand Hamburger zu essen. Mona hatte ihn immer öfter darauf hingewiesen, daß er dick würde. Und sie hatte recht. Vor ein paar Monaten hatte er plötzlich eines Morgens sein Gesicht im Badezimmerspiegel angestarrt und eingesehen, daß seine Jugend unwiderruflich vorbei war. Er würde bald vierzig sein, sah aber älter aus. Früher hatte er eher jünger ausgesehen, als er war.
Verstimmt fuhr er auf den Malmöväg und hielt bei einem der Supermärkte an. Er wollte gerade die Tür zuschlagen, als im Wageninneren sein Autotelefon zu summen begann. Einen Moment lang überlegte er, ob er es ignorieren sollte. Was es auch sein mochte, sollte sich doch ein anderer darum kümmern. Im Augenblick hatte er mit seinen eigenen Problemen genug zu tun. Aber er überlegte es sich doch, griff zum Hörer und meldete sich.
»Wallander?« hörte er seinen Kollegen Hansson fragen.
»Ja.«
»Wo bist du?«
»Ich wollte gerade einkaufen.«
»Mach das nachher. Komm statt dessen her. Ich bin im Krankenhaus. Ich warte draußen auf dich.«
»Was ist denn los?«
»Es ist ein bißchen schwer zu erklären. Es ist besser, wenn du gleich kommst.«
Das Gespräch war vorbei. Wallander wußte, daß Hansson nicht |153| angerufen hätte, wenn es nichts Ernstes wäre. Er brauchte nur ein paar Minuten zum Krankenhaus. Vor dem Eingang kam Hansson ihm schon entgegen. Er schien zu frieren. Wallander versuchte, von seinem Gesicht abzulesen, was passiert war.
»Was ist denn los?«
»Da drinnen sitzt ein Taxifahrer, der Stenberg heißt«, sagte Hansson. »Er trinkt Kaffee und ist völlig außer sich.«
Wallander folgte Hansson fragend durch die Glastüren.
Die Cafeteria lag rechts. Sie gingen an einem alten Mann vorbei, der im Rollstuhl saß und langsam einen Apfel kaute. Wallander erkannte Stenberg, der allein an einem Tisch saß. Er war ihm schon einmal begegnet, konnte sich aber nicht erinnern, in welchem Zusammenhang. Stenberg war um die Fünfzig, korpulent und fast kahl. Seine Nase war verbogen, als sei er in seiner Jugend Boxer gewesen.
»Sie kennen vielleicht Kommissar Wallander?« sagte Hansson. Stenberg nickte und stand auf, um Wallander zu begrüßen.
»Bleiben Sie doch sitzen«, sagte Wallander. »Erzählen Sie lieber, was passiert ist.«
Stenbergs Blick flackerte. Wallander erkannte, daß der Mann entweder sehr beunruhigt war oder Angst hatte. Was von beidem zutraf, konnte er noch nicht sagen.
»Ich bekam eine Fahrt von Svarte«, sagte Stenberg. »Der Kunde wollte an der Hauptstraße warten. Er hieß Alexandersson. Als ich ankam, stand er da auch. Er setzte sich auf die Rückbank und sagte, er wolle in die Stadt. Ich sollte am Markt halten.
Ich sah im Rückspiegel, daß er die Augen zumachte. Ich dachte, er schliefe. Als wir in die Stadt kamen, hielt ich am Markt und sagte, daß wir da seien. Er reagierte überhaupt nicht. Ich stieg aus, öffnete die hintere Tür und faßte ihn ganz leicht an. Aber er reagierte nicht. Daher glaubte ich, er sei krank, und fuhr ihn hierher zur Notfallambulanz. Da sagten sie, er wäre tot.«
Wallander zog die Stirn kraus.
»Tot?«
»Sie haben Wiederbelebungsversuche gemacht«, sagte Hansson. »Aber es half nicht. Er war tot.«
Wallander überlegte.
|154| »Sie brauchen fünfzehn Minuten von Svarte in die Stadt«, sagte er zu Stenberg. »Er machte nicht den Eindruck, als ginge es ihm nicht gut, als er einstieg?«
»Wenn er krank gewesen wäre, hätte ich es gemerkt«, sagte Stenberg. »Außerdem hätte er sich dann wohl zum Krankenhaus fahren lassen.«
»Und soweit Sie sehen konnten, war er nicht verletzt?«
»Nein. Er trug einen Anzug und einen
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