Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Situation klären.«
Oliver schüttelte die Pistole. »Wenn jemand versucht, mich festzunehmen, schieße ich.«
»Davon wird nichts besser.«
»Es kann auch nicht schlimmer werden.«
Plötzlich hatte Wallander eine Idee, wie er das verkrampfte Gespräch fortführen konnte. »Was, glauben Sie, würde Ihr Vater zu dem sagen, was Sie getan haben?«
Es ging wie ein Zittern durch Olivers Körper. Wallander verstand, daß der junge Mann diesen Gedanken noch nicht gedacht hatte. Oder vielleicht hatte er ihn viel zu oft gedacht.
»Ich verspreche Ihnen, daß Sie nicht geschlagen werden«, sagte Wallander. »Das garantiere ich Ihnen. Aber Sie haben das schwerste Verbrechen begangen, das es gibt. Sie haben einen Menschen getötet. Das einzige, was Sie jetzt tun können, ist, aufzugeben.«
Oliver kam nicht dazu, zu antworten. Das Geräusch sich nähernder Autos wurde jetzt ganz deutlich. Bremsen quietschten. Autotüren wurden geöffnet und wieder zugeschlagen. Verdammt, dachte Wallander. Ich hätte mehr Zeit gebraucht.
Er streckte langsam die Hand aus.
»Geben Sie mir die Pistole«, sagte er. »Nichts wird passieren. Niemand wird Sie schlagen.«
Es klopfte an der Tür. Wallander hörte Hembergs Stimme. Oliver blickte verwirrt zwischen Wallander und der Tür hin und her.
»Die Pistole«, sagte Wallander, »geben Sie sie mir.«
Hemberg rief und fragte, ob Wallander da sei.
»Warte«, rief Wallander zurück. Dann wiederholte er es auf englisch.
»Ist alles in Ordnung?« Hembergs Stimme klang besorgt.
Nichts ist in Ordnung, dachte Wallander. Das hier ist ein Alptraum.
»Ja«, rief er. »Warte. Tu nichts.«
Auch diesmal wiederholte er seine Worte auf englisch.
»Geben Sie mir die Pistole. Geben Sie mir jetzt die Pistole!«
|146| Oliver richtete sie plötzlich an die Decke und schoß. Der Knall war ohrenbetäubend.
Dann richtete er die Waffe auf die Tür. Wallander schrie Hemberg eine Warnung zu. Er solle sich von der Tür entfernen. Und warf sich im gleichen Augenblick auf Oliver. Beide fielen hin, rollten über den Fußboden und rissen einen Zeitungsständer um. Wallanders Denken war einzig darauf gerichtet, die Waffe zu fassen zu bekommen. Oliver zerkratzte ihm das Gesicht und brüllte Worte in einer Sprache, die Wallander nicht verstand. Als Wallander fühlte, daß Oliver im Begriff war, ihm ein Ohr abzureißen, wurde er rasend. Er bekam eine Hand frei und versuchte, Oliver die geballte Faust ins Gesicht zu schlagen. Die Pistole war zur Seite geglitten und lag zwischen den herabgefallenen Zeitungen. Wallander wollte danach greifen, als Oliver ihn mit einem Tritt direkt in den Bauch traf. Wallander blieb die Luft weg. Gleichzeitig sah er, wie Oliver sich auf die Waffe warf. Er konnte nichts machen. Der Tritt hatte ihn gelähmt. Oliver saß auf dem Fußboden zwischen den Zeitungen und richtete die Waffe auf ihn.
Zum zweiten Mal an diesem Abend schloß Wallander vor dem Unausweichlichen die Augen. Jetzt war es zu Ende. Er konnte nichts mehr tun. Draußen waren weitere Sirenen zu hören, die sich näherten, und aufgeregte Stimmen, die schrien, was eigentlich los sei.
Nichts, außer daß ich sterbe, dachte Wallander. Sonst nichts.
Der Schuß war ohrenbetäubend. Wallander prallte zurück. Ihm blieb wieder die Luft weg. Er rang nach Atem.
Dann wurde ihm klar, daß er nicht getroffen worden war. Er machte die Augen auf.
Vor ihm, ausgestreckt auf dem Fußboden, lag Oliver.
Er hatte sich in den Kopf geschossen. Neben ihm lag die Waffe.
Verdammt, dachte Wallander. Warum hat er das getan?
Im selben Augenblick wurde die Tür eingetreten. Wallander erkannte Hemberg. Dann sah er auf seine Hände. Sie zitterten. Er zitterte am ganzen Körper.
Wallander hatte eine Tasse Kaffee bekommen und war verbunden worden. Er hatte Hemberg eine kurze Darstellung des Geschehens gegeben.
|147| »Wenn ich das geahnt hätte«, sagte Hemberg anschließend. »Und ich habe dich noch gebeten, auf dem Heimweg hier anzuhalten.«
»Wie hättest du es ahnen können? Wie hätte sich überhaupt jemand so etwas vorstellen können?«
Hemberg schien über Wallanders Worte nachzudenken.
»Eine neue Entwicklung«, sagte er schließlich. »Die Unruhe dringt über unsere Grenzen herein.«
»Wir schaffen sie genausosehr selbst«, entgegnete Wallander. »Auch wenn gerade Oliver hier ein unglücklicher und friedloser junger Mann aus Südafrika war.«
Hemberg fuhr zusammen, als habe Wallander etwas Unpassendes gesagt. »Unglücklich und
Weitere Kostenlose Bücher