Wallander 10 - Wallanders erster Fall
genauso allein war wie er selbst. Doch als Wallander anrief, war Rydberg betrunken gewesen, und ihr Gespräch war schnell beendet.
Am Montag, dem 4. Mai, war Wallander früh im Präsidium. Während er darauf wartete, zu erfahren, was Hansson eventuell in seinen Registern gefunden haben konnte, beschäftigte er sich mit der Autoschmugglerbande. Erst am Tag danach, kurz nach elf Uhr, kam Hansson in sein Zimmer.
»Ich finde nichts über Martin Stenholm«, sagte er. »Er hat vermutlich während seines ganzen Lebens nie etwas Verbotenes getan.«
Wallander war nicht verwundert. Er war sich die ganze Zeit bewußt gewesen, daß sie vielleicht auf dem Weg in eine Sackgasse waren.
»Und die Frau?« fragte er.
Hansson schüttelte den Kopf.
»Noch weniger«, sagte Hansson. »Sie war viele Jahre Staatsanwältin in Nynäshamn.«
Hansson legte einen Aktenordner mit Papieren auf Wallanders Schreibtisch.
»Ich rede noch einmal mit den Taxifahrern«, sagte er. »Vielleicht haben sie trotz allem irgend etwas gesehen.«
Als Wallander allein war, zog er den Aktenordner an sich, den Hansson ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte. Er brauchte eine Stunde, um den Inhalt genau durchzusehen. Hansson hatte ausnahmsweise einmal nichts übersehen. Trotzdem wußte Wallander, daß Göran Alexanderssons Tod mit dem alten Arzt zu tun hatte. Er wußte es, ohne zu wissen, wie so häufig zuvor. Zwar mißtraute er seiner eigenen Intuition, aber er konnte nicht abstreiten, daß sie ihn trotz allem häufig richtig geleitet hatte. Er rief Rydberg an, der sofort zu ihm herüberkam. Wallander gab ihm den Aktenordner.
»Lies das mal durch«, sagte er. »Weder Hansson noch ich können |176| irgend etwas Auffälliges entdecken. Aber ich bin sicher, daß wir etwas übersehen.«
»Hansson können wir uns schenken«, meinte Rydberg und machte kein Hehl daraus, daß sein Respekt vor dem Kollegen sich in Grenzen hielt.
Am späten Nachmittag reichte Rydberg Wallander den Ordner wieder herein und schüttelte den Kopf. Auch er hatte nichts gefunden.
»Wir müssen wieder von vorn anfangen«, sagte Wallander. »Wir treffen uns hier morgen früh und entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen.«
Kurz danach verließ Wallander das Präsidium und fuhr nach Svarte. Wieder machte er einen langen Spaziergang am Strand. Er traf niemanden. Danach saß er im Auto und las den Ordner, den er von Hansson bekommen hatte, noch einmal durch. Was sehe ich nicht? dachte er. Es gibt einen Zusammenhang zwischen diesem Arzt und Göran Alexandersson. Nur ich sehe ihn nicht.
Er fuhr nach Ystad zurück und nahm den Ordner mit nach Hause in die Mariagata. Seit sie vor vierzehn Jahren nach Ystad gezogen waren, wohnten sie in derselben Dreizimmerwohnung.
Er versuchte, sich zu entspannen, aber der Ordner ließ ihm keine Ruhe. Spät am Abend, als es schon auf Mitternacht zuging, setzte er sich an den Küchentisch und ging das Ganze noch einmal durch.
Obwohl er inzwischen sehr müde war, fiel ihm jetzt plötzlich ein Detail auf. Er war sich dessen bewußt, daß es bedeutungslos sein konnte. Doch er beschloß, es gleich am nächsten Morgen zu untersuchen.
In dieser Nacht schlief er schlecht.
Kurz vor sieben war er wieder im Präsidium. Über Ystad fiel ein leichter Nieselregen. Wallander wußte, daß der Mann, den er jetzt aufsuchen wollte, ein ebenso früher Vogel war wie er selbst. Er ging hinüber in den Flügel des Gebäudes, in dem die Staatsanwaltschaft untergebracht war, und klopfte an Per Åkesons Tür. Wie üblich herrschte dort drinnen große Unordnung. Åkeson und Wallander arbeiteten seit vielen Jahren zusammen und hatten |177| großes Vertrauen in das Urteilsvermögen des anderen. Åkeson schob die Brille in die Stirn und betrachtete Wallander.
»Du hier?« sagte er. »So früh? Das bedeutet, daß du mir etwas Wichtiges zu sagen hast.«
»Ob es wichtig ist, weiß ich nicht«, entgegnete Wallander. »Aber ich brauche deine Hilfe.«
Er nahm einen Aktenstapel vom Besucherstuhl und legte ihn auf den Fußboden. Dann setzte er sich und berichtete Åkeson in knappen Worten von Alexanderssons Tod.
»Hört sich reichlich seltsam an«, sagte Åkeson, nachdem Wallander geendet hatte.
»Manchmal passieren seltsame Dinge«, sagte Wallander. »Das weißt du ebensogut wie ich.«
»Aber du bist doch kaum um sieben Uhr in der Frühe hergekommen, um mir das Ganze zu erzählen? Ich nehme an, du möchtest vorschlagen, daß wir diesen Arzt festnehmen?«
»Ich brauche deine
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