Wallander 10 - Wallanders erster Fall
schwer krank ist, auch nicht. Sie liegt oben.«
Wallander beschloß, ohne Umschweife zur Sache zu kommen. Es gab keinen Grund mehr zu zweifeln.
»Ihre Frau ist Staatsanwältin gewesen«, begann er. »Den größeren Teil des Jahres 1980 hatte sie eine Vertretung in Stockholm. |182| Sie leitete unter anderem die Voruntersuchung der Umstände, die zum Tod des damals achtzehnjährigen Bengt Alexandersson geführt hatten. Und sie war es auch, die nach einigen Monaten das Verfahren einstellte. Erinnern Sie sich an dieses Ereignis?«
»Natürlich nicht«, sagte Stenholm. »Wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, zu Hause Gespräche über unsere Arbeit zu vermeiden. Weder sprach sie von Angeklagten noch ich von Patienten.«
»Der Mann, der hier am Strand spazierenging, war der Vater des toten Bengt Alexandersson«, fuhr Wallander fort. »Er wurde außerdem vergiftet und starb auf der Rückbank eines Taxis. Finden Sie, daß dies nach Zufall aussieht?«
Stenholm antwortete nicht. Wallander meinte plötzlich, den gesamten Verlauf des Geschehens vor sich sehen zu können.
»Nach Ihrer Pensionierung ziehen Sie von Nynäshamn hier herunter nach Schonen«, sagte er langsam. »In eine kleine, anonyme Gemeinde mit Namen Svarte. Sie stehen nicht einmal im Telefonbuch, denn Ihre Nummer ist geheim. Natürlich kann der Grund dafür sein, daß Sie im Alter ungestört und anonym sein wollen. Aber vielleicht kann man sich auch eine andere Möglichkeit denken. Daß Sie in aller Heimlichkeit wegziehen, um etwas oder jemanden loszuwerden. Vielleicht einen Mann, der es nicht versteht, warum eine Staatsanwältin nicht mehr Mühe darauf verwendet, den sinnlosen Mord an seinem einzigen Kind aufzuklären. Sie ziehen fort, doch er findet Sie. Wie ihm das gelingt, werden wir wohl nie erfahren. Plötzlich steht er hier draußen am Strand. Sie begegnen ihm eines Tages, als Sie mit dem Hund gehen. Es ist natürlich ein schwerer Schock. Er wiederholt seine Anklagen. Vielleicht stößt er sogar Drohungen aus. Im Obergeschoß liegt Ihre schwerkranke Frau. Ich bezweifle nicht, daß es so ist. Der Mann am Strand kommt Tag auf Tag wieder. Er läßt nicht locker. Sie sehen keine Möglichkeit, ihn loszuwerden. Sie sehen überhaupt keinen Ausweg. Da bitten Sie ihn ins Haus. Wahrscheinlich versprechen Sie ihm, daß er mit Ihrer Frau sprechen kann. Sie geben ihm ein Gift, vielleicht in einer Tasse Kaffee. Dann bitten Sie ihn plötzlich, am nächsten Tag wiederzukommen. Ihre Frau hat starke Schmerzen, oder vielleicht schläft sie. Aber Sie wissen, er |183| wird nie wiederkommen. Das Problem ist gelöst. Göran Alexandersson wird an etwas sterben, das aussieht wie ein Herzinfarkt. Niemand hat Sie zusammen gesehen, niemand kennt die Verbindung zwischen Ihnen. War es nicht so?«
Stenholm saß unbeweglich da.
Wallander wartete. Durchs Fenster konnte er sehen, daß der Nebel noch immer sehr dicht war. Dann hob der Mann den Kopf.
»Meine Frau hat keine Fehler gemacht«, sagte er. »Aber die Zeiten änderten sich, die Verbrechen nahmen zu und wurden schlimmer. Polizei und Staatsanwaltschaft und Gerichte waren überfordert und kämpften einen aussichtslosen Kampf. Das sollten Sie als Polizeibeamter wissen. Deshalb war es zutiefst ungerecht, daß Göran Alexandersson meiner Frau zum Vorwurf machte, daß der Mord an seinem Sohn nie aufgeklärt wurde. Er hat uns sieben Jahre lang verfolgt und bedroht und terrorisiert. Und er tat das auf eine Art und Weise, daß ihm nie beizukommen war.«
Stenholm verstummte. Dann stand er vom Stuhl auf.
»Gehen wir hinauf zu meiner Frau. Sie kann es selbst erzählen.« »Das ist nicht mehr nötig«, sagte Wallander.
»Für mich ist es nötig«, sagte der Mann.
Sie stiegen die Treppe ins Obergeschoß hinauf. In einem großen und hellen Raum lag Kajsa Stenholm in einem Krankenbett. Auf dem Boden daneben lag der Labrador.
»Sie schläft nicht«, sagte der Mann. »Gehen Sie zu ihr und fragen sie, was Sie wollen.«
Wallander trat ans Bett. Ihr Gesicht war so abgemagert, daß die Haut sich über dem Schädel spannte.
Im gleichen Augenblick sah Wallander, daß sie tot war. Er wandte sich heftig um. Der alte Mann war in der Türöffnung stehengeblieben. Er richtete eine Pistole auf Wallander.
»Ich wußte, daß Sie kommen würden«, sagte er. »Deshalb konnte sie ebensogut sterben.«
»Legen Sie die Pistole fort«, sagte Wallander.
Stenholm schüttelte den Kopf. Wallander spürte, wie die Angst ihn lähmte.
Dann ging alles sehr
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