Wallander 10 - Wallanders erster Fall
schnell. Stenholm richtete plötzlich die Waffe auf seine eigene Schläfe und drückte ab. Der Knall hallte im |184| Raum wider. Von der Wucht des Schusses wurde der Mann fast durch die Tür hinausgeschleudert. Das Blut war über die Wände gespritzt. Wallander war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen. Dann stürzte er durch die Tür und die Treppe hinunter. Er wählte die Nummer des Polizeipräsidiums. Ebba nahm ab.
»Hansson oder Rydberg«, sagte er. »Und zwar verdammt schnell.«
Rydberg nahm ab.
»Es ist vorbei«, sagte Wallander. »Kleine Besetzung in das Haus in Svarte. Ich habe zwei Tote hier.«
»Hast du sie getötet? Was ist passiert?« fragte Rydberg. »Bist du verletzt? Warum bist du allein da hinausgefahren, verdammt noch mal?«
»Ich weiß nicht«, sagte Wallander. »Macht schnell. Ich bin unverletzt.«
Wallander ging aus dem Haus, während er wartete. Der Strand war nebelverhangen. Er dachte an das, was der alte Arzt gesagt hatte, über die Verbrechen, die mehr wurden und immer gröber. Wallander hatte ähnliche Überlegungen angestellt. Er kam sich mehr und mehr wie ein Polizeibeamter vor, der eigentlich einer anderen Zeit angehörte. Und das, obwohl er gerade mal vierzig war. Vielleicht brauchte die Gegenwart eine andere Sorte Polizisten?
Er wartete im Nebel, daß die Kollegen aus Ystad kamen. Er fühlte sich elend. Wieder einmal war er gegen seinen Willen gezwungen gewesen, in einer Tragödie mitzuspielen. Er fragte sich, wie lange er das noch aushalten würde.
Als die Kollegen kamen und Rydberg aus dem Wagen stieg, entdeckte er Wallander als schwarzen Schatten in dem weißen Nebel.
»Was ist passiert?« fragte Rydberg.
»Wir haben den Fall des Mannes gelöst, der im Fond von Stenbergs Taxi gestorben ist«, sagte Wallander einfach.
Er sah, daß Rydberg auf eine Fortsetzung wartete, die nicht kommen würde.
»Das ist alles«, sagte er. »Das ist alles, was wir getan haben.«
Dann drehte Wallander sich um und ging hinunter zum Strand. Nach kurzer Zeit hatte der Nebel ihn verschluckt.
|185| Der Tod des Fotografen
|187| Immer wenn es Frühjahr wurde, hatte er den gleichen Traum: daß er fliegen konnte. Der Traum lief stets auf dieselbe Weise ab. Er ging eine Treppe hinauf, die schwach beleuchtet war. Plötzlich öffnete sich die Decke, und er merkte, daß die Treppe ihn in eine Baumkrone geführt hatte. Zu seinen Füßen breitete sich die Landschaft aus. Er hob die Arme – und ließ sich fallen. Er herrschte über die Welt.
In diesem Augenblick erwachte er. Der Traum verließ ihn jedesmal an genau diesem Punkt. Er hatte den gleichen Traum seit vielen Jahren, hatte aber noch nie geträumt, daß er wirklich von der Spitze des Baumes fortgeschwebt wäre.
Der Traum kehrte zurück und narrte ihn immer wieder.
Er dachte daran, als er durch die Straßen von Ystad ging. In der Woche zuvor war eines Nachts der Traum zu ihm gekommen. Wie immer war er gerade in dem Augenblick abgebrochen, als er davonfliegen wollte. Jetzt würde er lange Zeit nicht wiederkehren.
Es war ein Abend Mitte April 1988. Die Frühjahrswärme ließ noch auf sich warten. Er bereute, keinen dickeren Pullover angezogen zu haben. Noch immer laborierte er an einer hartnäckigen Erkältung.
Es war kurz nach acht. Die Straßen waren menschenleer. In einiger Entfernung hörte er einen Wagen mit quietschenden Reifen anfahren. Dann verebbte das Motorgeräusch. Er ging immer denselben Weg. Vom Lavendelväg, wo er wohnte, folgte er der Tennisgata. Beim Magaretapark hielt er sich links und ging durch die Skottegata bis ins Zentrum. Dort bog er erneut links ab, kreuzte den Kristianstadsväg und war kurz darauf am Sankta Gertruds Torg, wo er sein Fotoatelier hatte. Wäre er ein junger Fotograf und gerade im Begriff, sich in Ystad zu etablieren, wäre die Lage nicht |188| die beste. Aber er hatte sein Atelier seit mehr als fünfundzwanzig Jahren. Sein Kundenkreis war stabil. Sie wußten, wo sie ihn finden konnten. Sie kamen zu ihm, wenn sie Hochzeitsfotos machen lassen wollten. Dann kamen sie mit dem ersten Kind wieder. Oder anläßlich verschiedener Festlichkeiten, an die sie sich später erinnern wollten. Inzwischen hatte er auch schon Hochzeitsfotos von jungen Leuten gemacht, deren Eltern er bereits von ihrer Hochzeit her kannte. Als es zum ersten Mal geschah, war ihm klargeworden, daß er langsam alt wurde. Früher hatte er nicht soviel darüber nachgedacht, aber plötzlich war er fünfzig gewesen. Und das war jetzt auch schon
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