Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Der Frühling ließ auf sich warten. Sie öffnete und trat ein. Der Fußboden war nach dem Regenwetter der letzten Tage schmutzig. Sie stellte ihre Handtasche neben die Kasse auf die Theke und legte ihren Mantel auf einen Stuhl neben dem kleinen Zeitungstisch. Im hinteren Teil des Ateliers befand sich ein Putzschrank. Dort verwahrte sie ihren Putzkittel und ihre Arbeitsgeräte. Lamberg muß bald einen neuen Staubsauger kaufen, dachte sie. Der alte taugt nicht mehr viel.
Sie betrat das Atelier und entdeckte ihn im selben Augenblick. Ihr war sofort klar, daß er tot war. Das Blut hatte sich um seinen ganzen Körper ausgebreitet.
Dann floh sie hinaus auf die Straße. Ein pensionierter Bankdirektor, dem sein Arzt regelmäßige Spaziergänge verordnet hatte, fragte sich entsetzt, was passiert war, nachdem es ihm mit Mühe und Not gelungen war, die schreiende Frau zu beruhigen.
Sie stand da und zitterte am ganzen Körper, während er zu einer Telefonzelle an der nächsten Straßenecke lief und den Notruf wählte.
Es war zehn Minuten nach fünf.
Nieselregen.
Böiger Wind aus Südwest.
|193| Es war Martinsson, der anrief und Wallander um drei Minuten nach sechs weckte. Wallander wußte aus langer Erfahrung, daß etwas Ernstes geschehen war, wenn das Telefon so früh klingelte. Normalerweise stand er bereits vor sechs Uhr auf, aber an diesem Morgen hatte er noch geschlafen. Er hatte sich am Abend zuvor ein Stück von einem Zahn abgebissen und während der Nacht Zahnschmerzen gehabt. Erst gegen vier Uhr war es ihm gelungen, ein wenig Schlaf zu finden, nachdem er mehrfach aufgestanden war und Schmerztabletten genommen hatte. Deshalb war er noch völlig verschlafen, als er zum Hörer griff. Er merkte, wie der Schmerz zurückkam.
»Habe ich dich geweckt?« fragte Martinsson.
»Ja«, antwortete Wallander und wunderte sich darüber, daß er ausnahmsweise einmal die Wahrheit sagte. »Das hast du tatsächlich. Was ist denn passiert?«
»Ich bin von der Nachtschicht angerufen worden. Gegen halb sechs haben sie einen ziemlich merkwürdigen Notruf bekommen. Wegen eines angeblichen Mordes am Sankta Gertruds Torg. Eine Streife ist hingefahren.«
»Und?«
»Leider stimmt es.«
Wallander hatte sich im Bett aufgesetzt. Der Notruf war also vor einer halben Stunde eingegangen.
»Bist du selber dort gewesen?«
»Wie sollte ich das denn geschafft haben? Ich war gerade beim Anziehen, als das Telefon klingelte. Ich dachte, es sei am besten, mich direkt bei dir zu melden.«
Wallander nickte stumm in den Hörer. »Und wissen wir, wer es ist?« fragte er.
»Es scheint der Fotograf zu sein, der da unten am Marktplatz sein Atelier hat. Ich habe seinen Namen vergessen.«
»Lamberg?« fragte Wallander mit gerunzelter Stirn.
»Ja, so heißt er. Simon Lamberg. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat die Putzhilfe ihn gefunden.«
»Wo?«
»Was meinst du damit?«
»Wo sie ihn gefunden hat. Im Laden oder draußen?«
|194| »Im Laden.«
Wallander dachte nach. Der Wecker neben seinem Bett zeigte sieben Minuten nach sechs.
»Sagen wir, in einer Viertelstunde?« fragte er dann.
»Ja«, antwortete Martinsson. »Die Streife sagte, es wäre kein angenehmer Anblick.«
»Das haben Mordplätze so an sich«, sagte Wallander. »Ich glaube, ich bin noch nie in meinem Leben an einem gewesen, den man als angenehm hätte beschreiben können.«
Sie beendeten das Gespräch.
Wallander blieb im Bett sitzen. Die von Martinsson übermittelte Nachricht berührte ihn unangenehm. Wenn es stimmte, wußte Wallander ziemlich genau, wer der Tote war. Simon Lamberg hatte Wallander häufig fotografiert. Die Erinnerungen an verschiedene Gelegenheiten, bei denen er das Fotoatelier besucht hatte, gingen ihm durch den Kopf. Als Mona und er Ende Mai 1970 geheiratet hatten, waren sie von Lamberg fotografiert worden. Er hatte die Aufnahmen jedoch nicht im Atelier gemacht, sondern unten am Strand, neben dem Hotel Saltsjöbaden. Mona hatte es so gewollt. Wallander konnte sich noch erinnern, daß er selber das Ganze für unnötig gehalten hatte. Daß sie ihre Hochzeit überhaupt in Ystad gefeiert hatten, hatte damit zusammengehangen, daß Monas alter Konfirmationspastor damals dort tätig gewesen war. Wallander hätte am liebsten in Malmö geheiratet, und zwar nur standesamtlich. Aber da hatte Mona nicht mitgemacht. Daß sie außerdem an einem kalten und windigen Strand stehen und sich fotografieren lassen mußten, hatte seine Laune ebenfalls nicht gerade gehoben.
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