Wallander 10 - Wallanders erster Fall
schüttelte energisch den Kopf, als wolle sie dem, was Wallander gesagt hatte, heftig widersprechen.
|215| »Simon war immer sehr vorsichtig. Er hätte nie einem Fremden geöffnet, und schon gar nicht am Abend.«
»Aber vielleicht jemandem, den er kannte?«
»Aber wer hätte das sein sollen?«
»Ich weiß es nicht. Jeder Mensch hat Freunde.«
»Simon ist einmal im Monat nach Lund gefahren. Dort gibt es eine Gesellschaft für Amateurastronomen. Er gehörte dem Vorstand an. Das war, soweit ich weiß, sein einziger Umgang.«
Wallander fiel plötzlich ein, daß sowohl er selbst als auch Svedberg eine sehr wichtige Frage übersehen hatten.
»Haben Sie Kinder?«
»Eine Tochter, Matilda.«
Etwas an ihrer Art zu antworten ließ Wallander sofort auf der Hut sein. Die kaum wahrnehmbare Veränderung des Tonfalls war ihm nicht entgangen. Als habe die Frage sie beunruhigt.
Er ging vorsichtig weiter. »Wie alt ist sie?«
»Vierundzwanzig.«
»Wohnt Sie noch bei Ihnen zu Hause?«
Elisabeth Lamberg blickte ihm starr in die Augen. »Matilda ist von Geburt an schwerbehindert. Wir haben sie vier Jahre lang zu Hause gehabt. Dann war es nicht mehr möglich. Jetzt lebt sie in einem Heim. Sie braucht praktisch bei allem Hilfe.«
Wallander verlor den Faden. Was er erwartet hatte, wußte er nicht. Aber jedenfalls nicht die Antwort, die er erhalten hatte.
»Es muß eine schwere Entscheidung für Sie gewesen sein«, sagte er und bemühte sich, verständnisvoll zu klingen. Ein unmöglicher Entschluß, sie in ein Heim zu stecken, dachte er.
Sie schaute ihm weiter direkt in die Augen. »Es war nicht mein Entschluß. Simon wollte es so. Also wurde es so gemacht.«
Für einen Augenblick kam es Wallander vor, als blicke er direkt in einen Abgrund hinein. Ihr Schmerz war überwältigend, als sie ihm erzählte, was passiert war.
Wallander schwieg lange, bevor er fortfuhr. »Können Sie sich jemanden denken, der einen Grund hatte, Ihren Mann zu töten?«
Ihre Antwort überraschte ihn von neuem.
»Nach dem, was damals geschehen ist, habe ich ihn nicht mehr gekannt.«
|216| »Obwohl es zwanzig Jahre her ist?«
»Manche Dinge vergehen nie.«
»Aber Sie blieben weiterhin verheiratet?«
»Wir wohnten unter dem gleichen Dach.«
Wallander dachte nach. »Sie können sich also nicht vorstellen, wer der Mörder ist?«
»Nein.«
»Und ein Motiv fällt Ihnen auch nicht ein?«
»Nein.«
Wallander ging nun direkt zur wichtigsten Frage über. »Als ich hierherkam, sagten Sie, daß Sie mich kennen. Können Sie sich erinnern, ob Ihr Mann jemals von mir gesprochen hat?«
Sie hob verwundert die Augenbrauen. »Warum sollte er?«
»Das weiß ich nicht. Bitte beantworten Sie meine Frage.«
»Wir haben nicht viel miteinander gesprochen. Und ich kann mich nicht daran erinnern, daß wir jemals über Sie gesprochen hätten.«
Wallander ging weiter. »In seinem Atelier haben wir ein Album gefunden. Darin befinden sich Fotografien von Staatsmännern und anderen bekannten Persönlichkeiten. Aus irgendeinem Grund ist auch mein Bild dabei. Kennen Sie das Album?«
»Nein.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Ja.«
»Die Bilder sind entstellt worden. Alle diese Menschen, ich selbst inbegriffen, sehen aus wie Monster. Ihr Mann muß viele Stunden damit verbracht haben, unsere Gesichter so zu verunstalten. Davon wissen Sie nichts?«
»Nein, das hört sich eigenartig an. Unbegreiflich.«
Wallander sah, daß sie die Wahrheit sagte. Sie wußte wirklich nichts mehr über ihren Mann, nachdem sie vor zwanzig Jahren beschlossen hatte, nichts mehr von ihm wissen zu wollen.
Wallander erhob sich. Er wußte, daß er mit vielen neuen Fragen wiederkommen würde, aber im Moment hatte er nichts mehr zu sagen.
Sie begleitete ihn zur Haustür. »Mein Mann hatte wohl viele Geheimnisse«, sagte sie plötzlich. »Aber ich kannte sie nicht.«
|217| »Wenn Sie sie nicht kannten, wer wußte dann davon?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie fast flehend, »aber jemand muß es getan haben.«
»Und was für Geheimnisse könnten das gewesen sein?«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich es nicht weiß. Aber Simon war voller geheimer Räume. Ich konnte und wollte nicht hineinschauen.«
Wallander nickte.
Im Auto blieb er eine Zeitlang sitzen. Es hatte wieder angefangen zu regnen.
Was hatte sie eigentlich gemeint? Simon war ein Mann voller geheimer Räume? Als ob das Hinterzimmer des Ateliers nur einer davon gewesen war. Als ob es weitere gab, die sie noch nicht gefunden
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