Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Gesicht. Ein Datum mit Tinte geschrieben.
Ohne jedes Bild im Detail zu studieren, blätterte Wallander langsam weiter. Überall nur eine einzige Fotografie pro Seite. Entstellt, deformiert. Männer, denn es waren ausschließlich Männer, die zu ekelerregenden Monstern mutiert waren. Schweden und Ausländer. Vorwiegend Politiker. Aber auch ein paar Geschäftsleute. Ein Schriftsteller. Und außerdem einige, die Wallander nicht kannte.
Er versuchte zu begreifen, was die Bilder erzählten. Warum besaß Simon Lamberg dieses sonderbare Fotoalbum? Warum hatte er die Fotos entstellt? Hatte er die Abende in der Einsamkeit des Ateliers verbracht, um an diesem Album zu arbeiten? Wallanders Aufmerksamkeit hatte sich geschärft. Hinter Simon Lambergs wohlorganisierter Fassade gab es offenbar noch etwas anderes.
Einen Menschen, der sich die Mühe machte, die Gesichter bekannter Männer zu zerstören.
Wallander blätterte erneut um. Zuckte zusammen. Ein heftiges Unbehagen breitete sich in ihm aus.
|211| Er konnte nicht glauben, was er sah.
Im selben Augenblick kam Svedberg herein.
»Sieh dir das mal an«, sagte Wallander langsam. Dann zeigte er auf das Foto.
Svedberg beugte sich über seine Schulter. »Das bist ja du«, sagte er erstaunt.
»Ja. Das bin ich. Oder zumindest war ich es mal.«
Er blickte wieder auf das Bild. Es handelte sich um ein Foto aus irgendeiner Zeitung. Es zeigte ihn, und auch wieder nicht.
Er sah aus wie ein ungewöhnlich widerwärtiger Mensch.
Wallander konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so unangenehm berührt gewesen war. Das verzerrte und entstellte Bild seines Gesichts bereitete ihm Übelkeit. Er war einigermaßen daran gewöhnt, daß Verbrecher, an deren Ergreifung er beteiligt war, ihn in spontanen Ausbrüchen ihren Haß und ihre Wut spüren ließen. Aber der Gedanke, daß jemand Stunden darauf verwendet hatte, ein Haßbild von ihm herzustellen, war erschreckend. Svedberg bemerkte Wallanders Reaktion und holte Nyberg. Gemeinsam gingen sie das Fotoalbum durch. Das letzte Bild war vom Tag zuvor. Diesmal war das Gesicht des amtierenden schwedischen Ministerpräsidenten zerstört worden. Daneben stand mit Tinte das Datum.
»Wer so etwas macht, muß doch krank sein«, sagte Nyberg.
»Zweifellos hat Simon Lamberg seine einsamen Abende diesen Fotos hier gewidmet«, sagte Wallander. »Aber ich würde gern wissen, warum ich Teil dieser makabren Versammlung bin. Außerdem die einzige Person aus Ystad. Unter Staatsmännern und Präsidenten. Ich kann nicht verhehlen, daß ich sehr unangenehm berührt bin.«
»Was soll das Ganze überhaupt?« fragte Svedberg.
Niemand wußte eine sinnvolle Antwort.
Wallander hatte das Bedürfnis, den Laden zu verlassen. Er bat Svedberg, mit der Durchsicht des Raumes fortzufahren. Er selbst würde bald der Presse die Informationen geben müssen, auf die sie wartete.
Als er auf die Straße hinauskam, ließ seine Übelkeit nach. Er stieg über das Absperrband und ging auf direktem Wege zum |212| Polizeipräsidium. Immer noch nieselte es. Seine Übelkeit war vergangen, aber er fühlte sich noch genauso unangenehm berührt.
Simon Lamberg sitzt abends in seinem Atelier und hört klassische Musik. Dabei entstellt er Bilder diverser prominenter Persönlichkeiten. Sowie das eines Kriminalbeamten aus Ystad. Wallander versuchte fieberhaft, eine Erklärung dafür zu finden, aber vergeblich. Daß ein Mann ein Doppelleben führte und sich unter einer vollkommen normalen Oberfläche Wahnsinn verbarg, war nichts Ungewöhnliches. Aus den Annalen des Verbrechens konnten gerade dafür zahlreiche Beispiele angeführt werden. Aber warum war er selbst mit in dem Album? Was verband ihn mit den anderen dort abgebildeten Menschen? Warum war gerade er die Ausnahme?
Er ging auf direktem Weg in sein Zimmer und schloß die Tür. Erst jetzt wurde ihm bewußt, wie besorgt er war. Simon Lamberg war tot. Jemand hatte ihm mit außerordentlicher Kraft den Hinterkopf zerschmettert. Und in seinem Schreibtisch gab es ein exklusives Fotoalbum mit makabrem Inhalt.
Wallander wurde durch ein Klopfen an der Tür aus seinen Gedanken gerissen.
Es war Hansson. »Lamberg ist tot«, sagte er, als verkünde er eine Neuigkeit. »Er hat mich fotografiert, als ich vor vielen Jahren konfirmiert wurde.«
»Du bist konfirmiert?« fragte Wallander erstaunt. »Ich dachte, daß ausgerechnet du dir aus irgendwelchen höheren Mächten nun wirklich nichts machst.«
»Das tue ich auch nicht«, antwortete Hansson
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