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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Bekannten das Ganze vollkommen unerklärlich fanden; und da sie ihrerseits nicht begriffen, wie ich überhaupt auf den Baum hinaufgekommen war, und ich meinerseits nicht imstande war, es ihnen zu erklären, gaben sie sich auch keine große Mühe, mich von dort wieder herunterzuholen. Als ich mich nach Leuten umsah, die mir hätten behilflich sein können, waren die einflußreichen Männer, die ich mir für einen derartigen Notfall warmgehalten hatte, entweder tot oder nicht in der Stadt, und wenn ich ihnen zufällig auf der Straße begegnete, nachdem ich sie kurz zuvor bei ihnen zu Hause nicht angetroffen hatte, lösten sie sich wie Träume kurz vor dem Erwachen in Luft auf. Als Zeugen konnte ich mir keinen einzigen Menschen vorstellen, dessen Aussage für mich nützlich gewesen wäre, deshalb machte ich mir gar nicht erst die Mühe, einen zu finden.
    Für diejenigen von Ihnen, auf die Einzelheiten einen schon krankhaften Reiz ausüben, muß ich jetzt vermutlich die Vorgänge jeder einzelnen Phase meines Prozesses niederschreiben. Von meiner Vorladung habe ich Ihnen ja bereits erzählt; wegen des Drucks der Verhandlungssachen vor den Gerichten lag zwischen der Vorladung und dem Erscheinen vor dem Ratsvorsitzenden eine ungewöhnlich lange Zeitspanne. Da es sich um einen religiösen Fall handelte, war nämlich der zuständige Beamte der Archon Basileus. Denjenigen, die sich nicht an die Demokratie erinnern, sei gesagt, daß es drei Archonten gab – den Archon Basileus, den Archon des Jahres sowie den Polemarchos –, von denen jeder einen klar umrissenen Gerichtsbarkeitsbereich hatte, deren genaue Zusammensetzung ich entweder vergessen oder nie gewußt habe. Da der Archon Basileus für Verrat und politische Delikte zuständig war, gehörte er zu den meistbeschäftigten Männern in Athen; doch schließlich kam der Tag, und ich fand mich ordnungsgemäß in seinem Amtslokal ein. Wie ich schon erwartet hatte, war in der Anklageschrift kein Hintertürchen zu finden; dazu war Demeas in solchen Geschichten viel zu erfahren. Zur richtigen Jahreszeit hatte er sich in der richtigen Form an den richtigen Beamten gewandt, und die Klage war richtig aufgebaut. Also entrichtete jeder von uns eine Drachme Gebühr, und die Anklage wurde sauber auf eine weiße Tafel geschrieben und vor dem Amtslokal des Archons aufgehängt. Dann teilte man uns mit, wann die zweite Befragung abgehalten werde, und wir begaben uns nach Hause, nachdem wir uns einen ganzen Tag lang mit sinnlosen Formalien herumgeschlagen hatten, ohne irgend etwas erreicht zu haben. Wenn Sie mich fragen, machen diese verfahrensrechtlichen Schritte aus unserem Rechtssystem ein Possenspiel.
    Wie Sie selbst nur allzugut wissen, müssen Kläger und Angeklagter bei der zweiten Anhörung die Grundlage erörtern, auf die sich ihre Klage beziehungsweise Verteidigung stützen wird. Nun wollte ich meine Karten nicht aufdecken, zumal ich eine nur ungenaue Vorstellung davon hatte, wie ich am besten vorgehen sollte. Folglich war mir bei dieser Befragung alles andere als behaglich zumute. Um mich vor einer richtigen Verteidigung zu drücken, wollte ich schon dafür plädieren, daß gegen mich keinerlei Beweise vorlägen, für die ich mich rechtfertigen müßte. Leider kann ein solch schlaues Vorgehen, für das wir Athener eine Schwäche haben, oft in einer Katastrophe enden; deshalb beschloß ich, es lieber gar nicht erst zu probieren. Nichts wünschte ich mir weniger, als daß meine Verteidigung abgewiesen und ein Urteil mangels Verteidigung über mich verhängt würde.
    Für diese Befragung gibt es fünf Kategorien von Beweisgründen: Gesetze, Zeugen, Zeugenaussagen, Eide und Folter – und Demeas verfügte über alle. Am festgesetzten Tag erschien er mit drei aktenbeladenen Sklaven und einem kleinen Heer von Zeugen. Ich dagegen hatte lediglich eine alte, stark abgegriffene Abschrift von Solons Gesetzen dabei, die ich mir von einem Freund ausgeliehen hatte, und das war dann auch schon alles; keine Zeugen, keine Aussagen, einfach gar nichts. Als ich an der Reihe war, mein Beweismaterial vorzulegen, sagte ich, ich hätte keins; meine Verteidigung werde sich auf Personenverwechslung berufen, und da meine Gattin (als Frau) nicht berechtigt sei, als Zeugin auszusagen, hätte ich niemanden, der unter Eid beschwören könne, daß ich die ganze fragliche Nacht über im Bett gelegen hätte. Der über diese mangelnde Vorbereitung sichtlich verwirrte Archon warnte vor den Geldstrafen für das

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