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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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ich noch nie etwas anfangen. Meine Aufmerksamkeit läßt nach. Ich denke an etwas anderes. Irgendwann kehre ich mit den Gedanken zurück zum Epos, zum Theaterstück oder was immer es ist, und stelle fest, daß ich ein wichtiges Stück verpaßt und den Faden verloren habe. Deshalb werde ich nicht versuchen, weiterhin Spannung aufzubauen, obwohl das ganz einfach wäre; statt dessen werden wir jetzt direkt zum Tag der Verhandlung selbst voranschreiten.
    Kurz vor Tagesanbruch verließen wir das Haus und gingen langsam zum Gericht. Auf dem Weg dorthin stieß ich auf einen Freund namens Leagoras, einen meiner Nachbarn aus Pallene. Er fragte mich, wohin ich unterwegs sei, und ich antwortete ihm, daß ich mich vor dem Gericht verantworten müsse. Daraufhin erkundigte er sich, wie die Anklage laute, und als ich ihn darüber aufklärte, war er äußerst überrascht und sagte, da er am heutigen Tag in der Stadt nichts zu erledigen habe, das nicht warten könne, werde er mich begleiten und nötigenfalls eine Nachricht mit nach Pallene zurück nehmen, wenn er nach Hause gehe. Ich dankte ihm, und zusammen setzten wir den Weg zum Odeion fort.
    Gerade begann die Verhandlung des ersten Falls des Tages, und wir setzten uns auf die Bänke vor dem Gebäude, um zu warten. Es war ein sonniger und einschläfernder Tag geworden, einer jener Tage, die ich am liebsten auf dem Land verbringe, wenn es in der Stadt nicht viel zu tun gibt. Ich hatte große Schwierigkeiten, meinen Verstand richtig in Gang zu bringen, und weder Phaidra noch Leagoras waren mir dabei eine Hilfe; Phaidra wollte sich nicht unterhalten, und Leagoras sprudelte vor Neuigkeiten aus Pallene über: Wessen Weinstöcke sich gut entwickelten, wer gegen wen wegen unbefugten Betretens und Versetzens von Grenzsteinen klagte, wer wessen Tochter geschwängert hatte und so weiter und so fort; und obwohl ich derartigem Tratsch meistens gern zuhöre, besonders wenn ich in der Stadt bin, brachte ich nicht die Aufmerksamkeit für ihn auf, die notwendig gewesen wäre, um mein Interesse zu wecken. Um Ihnen die Wahrheit zu gestehen: Mein Kopf war praktisch völlig leer (obwohl ich von Natur aus ein unruhiger Mensch bin), und ich spürte, wie in mir von den Fußsohlen aus eine große Mattigkeit heraufkroch und in jede einzelne Faser des Körpers eindrang. Ich wußte, schon sehr bald würde ich eingeschlafen sein; und in der prallen Sonne einzuschlafen, bekommt mir gar nicht. Dann pflege ich mit Schmerzen in Nacken und Kopf aufzuwachen, die gewöhnlich nicht vor Einbruch der Nacht nachlassen. Mit Ausnahme von Zahnschmerzen und Durchfall ist das wohl das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, der sich demnächst vor Gericht verantworten muß, und ich war gerade im Begriff, aufzustehen und einen Spaziergang zu machen, um wach zu werden, als ich auf der Straße eine vertraute Gestalt auf mich zukommen sah.
    Sokrates, Sohn des Sophroniskos, sich an den Gerichtshöfen herumtreiben zu sehen, war keine Überraschung; obwohl er es selbst leidenschaftlich abstreitet, trifft man ihn eigentlich stets in der Nähe einer guten und interessanten Gerichtsverhandlung an. Genaugenommen gehört er zwar nicht zu den Redenschreibern wie Python, aber er macht eine Menge Geld mit seinen ›Denkübungen‹. Dabei handelt es sich im Grunde um nicht viel mehr als um Vorbereitungskurse für Prozeßführende, und er befindet sich ständig auf der Suche nach neuen Teilnehmern. Seit sein angesehenster Schüler, der berühmte Alkibiades, in Ungnade gefallen und geflohen war, hatte das Geschäft ziemlich nachgelassen, und der Name Sokrates war auf dem Marktplatz oder in den Bädern immer seltener erwähnt worden.
    Phaidra und Leagoras wollten ihm offensichtlich aus dem Weg gehen, denn sie versuchten, in ihren Kleidern zu versinken und sich so seinem Blick zu entziehen; doch ich betrachtete Sokrates’ Auftauchen als ein Zeichen der Götter, wie einen über meinen Kopf fliegenden Adler oder eine Eule. Ich rief und winkte ihm also zu; und tatsächlich kam er wie ein hungriger Hund, der das Klirren eines Napfs auf dem Küchenboden hört, zu mir herübergesprungen.
    »Guten Morgen, Eupolis«, begrüßte er mich mit seinem enorm breiten Grinsen. »Was hast du denn so weit weg vom Schuß verloren? Solltest du nicht lieber auf dem Marktplatz sein, um ein wenig Klatsch und Tratsch für ein neues Stück aufzuschnappen?«
    Ich lächelte in einer Weise, die den Mangel jeglicher Belustigung ausdrücken sollte. »Und solltest

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