Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
kümmern solltest. Du meine Güte, was hast du dabei schon zu verlieren?«
Ich zog mir die Sandalen aus und machte es mir auf der Liege bequem. »Zum Beispiel meine Selbstachtung«, sagte ich. »Wenn du glaubst, ich lasse meinen Namen mit solch einem Sokrates-Geschwafel in Verbindung bringen, dann irrst du dich gewaltig. Noch bin ich ein Dichter, oder etwa nicht?«
»Was hat das denn damit zu tun?«
»Ich könnte eine solche Rede selbst noch im Schlaf sehr viel besser schreiben als Python, und das im selben Stil, und sie sogar ins richtige Versmaß bringen.«
Phaidra schüttelte energisch den Kopf. »Das könntest du eben nicht, weil du die ganze Geschichte nicht ernstnähmst.«
Ich blickte sie verdutzt an. »Was meinst du damit?«
»Du neigst dazu, zu dick aufzutragen«, erklärte Phaidra. »Das liegt dir nun mal im Blut. Du würdest Witze einflechten und so eine Parodie daraus machen. Im Theater wäre das womöglich angebracht, im Odeion hingegen hätte das nicht den geringsten Nutzen.«
In diesem Punkt hatte sie natürlich recht, trotzdem gab es Grund zu widersprechen. »Nun überstürz doch nicht gleich alles so, schließlich habe ich überhaupt nicht vor, eine Python-Rede zu entwerfen.«
»Und warum nicht?«
»Weil es nicht klappen würde. Denk mal kurz nach. Diese Prozesse, die du eben erwähnt hast, haben die nicht alle vor der sizilianischen Katastrophe stattgefunden?«
»Sicherlich«, räumte Phaidra ein. »Aber das macht doch keinen Unterschied.«
»Und ob!« antwortete ich. »Der Punkt ist nämlich der, daß sich die Lage seit Sizilien grundlegend verändert hat. Hätten die Prozesse nach der Niederlage stattgefunden, glaubst du wirklich, daß Python dann noch wie ein Duftwasserverkäufer von Haus zu Haus gehen müßte, um seine Dienste feilzubieten?«
»Er hat eben von deinem Fall gehört und wollte gern den Auftrag für eine Rede von dir haben. Alles andere halte ich für recht unbedeutend.«
»Wirklich? Ich bleibe trotzdem dabei, daß diese Statuengeschichte etwas ganz anderes ist als alles, was es vorher jemals in Athen gegeben hat. Das Ganze ist schon sehr viel länger im Gange, und hierbei geht es nicht nur um Geld und Politik.«
»Worum denn noch?«
»Zum Beispiel ist Athen zum erstenmal seit Menschengedenken geschlagen worden«, antwortete ich – zugunsten einer guten Diskussion hatte ich nach athenischem Brauch bis zu diesem Zeitpunkt einfach immer nur das gesagt, was mir gerade eingefallen war, jetzt aber dachte ich laut nach. »Der entscheidende Unterschied heute ist der, daß alle Angst haben, Phaidra. Die Athener sind geschlagen worden, und sie wissen nicht, warum. Zudem ist niemand mehr da, dem sie die Schuld geben können, und deshalb wendet sich einer gegen den anderen. Du meine Güte! Bin ich etwa ein Politiker? Oder ein Feldherr? Tatsächlich habe ich doch gar nicht so viele Feinde. Seit wann werden Leute wie ich aufgrund politischer Vergehen angeklagt? Und Zeus weiß, daß ich nicht der einzige bin. Sicher, Demeas klagt mich an, weil ich Geld habe, aber die Geschworenen werden mich verurteilen, weil sie Blut sehen wollen. Und dieses Mal kam der Anstoß dazu nicht von Kleon, Hyperbolos, Perikles oder sonst jemandem, der sich einen Feind vom Hals schaffen will; vielmehr sind es die Geschworenen und die Wähler selbst, die dieses Blutbad initiiert haben, und sie werden nicht eher zur Ruhe kommen, bis es eine Revolution oder einen Bürgerkrieg gibt.«
»Ach, meinst du wirklich?« bemerkte Phaidra etwas abfällig. »Und gibt es irgendwelche Beweise für deine Behauptungen? Oder hast du mal wieder mit dem allwissenden Apollon geplaudert?«
»Beweise? Nun, da wären zunächst einmal die Umstände meiner Anklage, wie ich sie dir gerade erläutert habe.«
»Jetzt ziehst du aber einen Zirkelschluß«, wandte Phaidra erfreut ein.
»Ich werde es dir schon noch beweisen. Frag dich doch mal selbst, wer gerade der Vorsitzende ist!«
»Welcher Vorsitzende?«
»Der Vorsitzende der Volksversammlung. Von der Zeit noch vor Themistokles bis hin zu Kleon und Alkibiades gibt es eine ununterbrochene Folge von Männern, die der Volksversammlung vorgesessen haben. Also, wer ist heute der Vorsitzende?«
»Nun, so aus dem Stegreif…«
»Es gibt nämlich keinen, stimmt’s? Und warum nicht? Weil niemand mehr seines Lebens sicher ist. Gewiß, Themistokles und Perikles sind hin und wieder, angezeigt worden, aber nur von solchen Schwachköpfen wie meinem Großvater. Wirklich in Gefahr haben sie
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