Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
es wirklich, einem Menschen Zuversicht zu vermitteln.«
»Du hast mich gefragt, was ich von dem Plan halte«, erwiderte sie, »und ich habe dir meine ehrliche Meinung mitgeteilt. Was soll ich deiner Ansicht nach tun? Soll ich etwa behaupten, es sei ein glänzender Plan, und dich damit weitermachen lassen?«
»Jetzt ist es sowieso zu spät, um noch irgendwas zu ändern«, entschied ich. »Wenn man erst einmal versucht, die Verteidigungsstrategie zu ändern, kann man sich gleich aufhängen und dem Staat die Bezahlung der Geschworenen ersparen. Außerdem hat es noch nie einen Zweck gehabt, meineidige Zeugen und dergleichen vor Gericht zu bringen; das ist Demeas’ Handwerk, und davon versteht er einfach mehr als ich.«
»Das fürchte ich auch«, seufzte Phaidra schweren Herzens. »Ich meine, theoretisch ist es ein guter Plan. Es ist nur die praktische Umsetzung, die mir gefährlich erscheint. Es gibt so viele ›Was-wäre-wenns?‹.«
»Nicht annähernd so viele, wie wenn ich es auf die andere Art probiert hätte«, entgegnete ich. »Auf diese Weise gibt es nur ein großes ›Was-wäre-wenn?‹: Was wäre, wenn es ihnen nicht gefällt? Außerdem habe ich mich damit mein ganzes Leben lang im Theater beschäftigt.«
Phaidra zuckte die Achseln. »Auf jeden Fall ist es, wie du sagst, nun zu spät. Aber keine Angst, mein Lieber, deshalb werde ich trotzdem nicht die ganze Zeit über sauer auf dich sein.«
Ich beugte mich vor und nahm ihre Hand. »Du bist wirklich ein braves Mädchen.«
»Diese Redensart hasse ich«, erwiderte sie. »Die ist so gönnerhaft, findest du nicht? Als ob ich zwölf Jahre alt wäre und es gerade geschafft hätte, die Suppe zu kochen, ohne sie anbrennen zu lassen. Bist du müde?«
»Sehr sogar.«
»Dann iß dein Brot und geh heute mal früh schlafen. Schließlich mußt du morgen arbeiten.« Sie stand auf und schenkte mir einen Becher von dem würzigen Wein ein. »Bleib nicht die ganze Nacht lang auf, sonst kannst du nicht richtig denken.«
Nachdem Phaidra zu Bett gegangen war, saß ich im Dunkeln und versuchte, mir eine Anfangszeile für meine Rede einfallen zu lassen. Wenn man es schafft, sich eine Anfangszeile auszudenken – gleichgültig, wofür: für einen Chor, eine Rede, ein Gedicht oder für was auch immer –, dann kommt der Rest meiner Meinung nach ganz von selbst. Nun ist der Anfang einer Verteidigungsrede entscheidend und nur schwer richtig hinzubekommen; genaugenommen kommen dem Anfang an Schwierigkeit und Bedeutung nur der Mittelteil und der Schluß gleich. Doch konnte ich mich noch sosehr anstrengen, es gelang mir einfach nicht, die Worte in dem Stil zu setzen, der mit vorschwebte; entweder war alles zu umgangssprachlich oder zu förmlich, und ich konnte mir nicht vorstellen, mich im Gerichtssaal zu erheben und den Text tatsächlich laut zu sprechen. Da fiel mir plötzlich die Lösung ein. Ich tat mich so schwer in dem Bemühen, Prosa zu schreiben, eine Form, mit der ich mich noch nie auseinandergesetzt hatte. Ich brauchte die Rede bloß in Versen abzufassen und sie dann wie Prosa vorzutragen und vielleicht noch an dem einen oder anderen Wort herumzubasteln, damit sie beim Vortrag nicht zu sehr nach einem Gedicht klang. Sobald ich das probierte, sprudelten die Wörter wie Wasser aus einer Quelle hervor. Ich hatte die Rede gerade zu meiner vollen Zufriedenheit abgerundet, als Phaidra aus dem Innenraum gewankt kam.
»Um Himmels willen!« rief sie gähnend. »Es ist mitten in der Nacht. Mach endlich Schluß!«
»Schon gut«, sagte ich. »Ich habe es gleich geschafft. Geh wieder ins Bett, ich bin in einer Minute fertig.«
Sie blinzelte. »Du hast es geschafft?« fragte sie. »Was meinst du damit?«
»Meine Rede«, antwortete ich ungeduldig. »Sie ist fertig.«
»Oh.« Sie runzelte die Stirn. »Einfach so?«
»Ja.«
»Taugt sie was?«
»Willst du sie hören?«
»Nein.« Sie gähnte erneut. »Ich meine, wenn sie jetzt gut ist, dann ist sie morgen früh auch noch gut.«
Ich hatte zwar ein bißchen mehr Begeisterung erwartet, sah aber, daß Phaidra müde war. »Na schön«, sagte ich. »Ich komme.«
»Gut«, murmelte sie.
Ich weiß, sie ist ein Klassiker; aber ich mag die Odyssee nicht. Insbesondere der Anfang gefällt mir nicht. Mir ist durchaus bewußt, daß es sehr raffiniert gemacht ist, wie Homer das erste Auftreten von Odysseus hinauszögert, bis das Epos richtig in Gang kommt; das soll Spannung erzeugen und den Leser fesseln. Aber mit dieser Art Spannung konnte
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