Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
mich mit leicht lispelnder Stimme und rief ihn zu sich.
»Hast du die Anschovis gekriegt?«
»Hier sind sie drin«, antwortete Thrax, wobei er auf die Amphore deutete, die er in der Hand hielt. »Ach, du hast mir übrigens zuviel Geld gegeben, Herrin.« Er holte drei Obolen aus dem Mund hervor und gab sie Phaidra zurück.
»Also kostet eine halbe Mine jetzt fünf Obolen?« erkundigte sich Phaidra neugierig.
»Das liegt am allgemeinen Mangel, sie sind schon wieder teurer geworden.«
»Macht nichts. Wir werden sie heute abend zusammen mit dem Rest Bohnen und etwas Suppe essen.«
Ich mußte unwillkürlich lachen.
»Was ist denn daran so witzig?« fragte sie scheinheilig.
»Ich wußte doch, daß du etwas im Schilde geführt hast. Kaum zu fassen, woran du dich alles erinnerst, was ich dir erzählt habe.«
»Wie? Hast du im Ernst geglaubt, ich könnte das für meinen eigenen Ehemann gestellte Orakel eines Gotts vergessen? Du mußt mich für eine ganz schöne Schlampe halten.«
»Aber du hast doch selbst gesagt, ich hätte mir das alles nur eingebildet.«
»Das hast du auch. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß du nicht sterben darfst, bevor eine halbe Mine Anschovis drei Drachmen kostet. Das ist deine heilige Pflicht.«
»Dionysos hat nichts davon gesagt, daß ich dann sterben werde, sondern nur, daß ich ihn dann wiedersehe.«
Phaidra stand auf, küßte mich und ging zur Feuerstelle hinüber. »Eine gute Antwort. Wir werden aus dir noch einen Verteidiger machen.«
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Nun werden Sie zu Recht behaupten, das habe an der Suppe gelegen, gefolgt von den Anschovis und den Bohnen, aber ehrlich gesagt, war das nicht alles. Phaidras kleiner Kunstgriff hatte mich beeindruckt, weil ich dieses widersprüchliche Orakel völlig vergessen hatte. Vielleicht hast du dir das alles wirklich nur eingebildet, sagte meine innere Stimme, woraufhin sie sofort versuchte, sich meinen Gedanken zu verschließen. Aber man muß schon eine ziemlich verschrobene Einbildungskraft haben, wenn man sich einredet, eine halbe Mine Anschovis könne jemals drei Drachmen kosten, antwortete ich ihr.
Meine innere Stimme, die keinerlei Sinn für Humor hat, weigerte sich zu antworten und überließ mich mir selbst. Aber während ich dalag, halb schlafend, halb wach, wurde mir plötzlich klar, welche Idee sich zuvor bei mir im Unterbewußtsein gebildet hatte und die nun meine einzige Hoffnung war. Ich stieß Phaidra mehrmals gegen den Rücken und sagte: »Phaidra, bitte wach endlich auf.«
»O nein, nicht heute abend«, seufzte Phaidra schläfrig. »Ich habe eine Magenverstimmung.«
»Das war ja wohl deine Idee, Anschovis zu essen.«
»Du weißt ganz genau, warum es heute Anschovis gab. Jetzt schlaf endlich.«
»Phaidra, ich habe eine Idee. Hör mir bitte zu.«
12. KAPITEL
Im Moment sind sie zwar nicht furchtbar modern, aber für thebanische Witze hatte ich schon immer eine Schwäche. Wahrscheinlich ist mein Lieblingsbeispiel für diese Gattung der Witz über einen Thebaner, der eines Tages auf seinem Esel zum Markt reitet. Als er unter einem Birnbaum entlangkommt, sieht er nur wenige Zentimeter über seiner Nasenspitze eine besonders reife und leckere Birne baumeln. Er läßt die Zügel fahren und greift genau in dem Augenblick mit beiden Händen nach oben, als der Esel von einer Bremse gestochen wird. Wild springt der Esel hoch und schleudert dabei den Thebaner in die Luft, der in den Zweigen des Baums landet, wo er sich mit Kopf und Schultern so in dem dichten Geäst verheddert, daß er hilflos hängenbleibt, während der Esel die Fassung zurückgewinnt und den Weg allein fortsetzt. Der Thebaner baumelt fast den ganzen Morgen lang in den Zweigen, bis ein Wanderer des Weges kommt und ihn dort unerklärlicherweise wie eine riesige Birne hängen sieht.
»Um Himmels willen!« staunt der Wanderer. »Wie bist du denn da raufgekommen?«
»Na, wie wohl?« fragt der Thebaner zurück. »Ich bin von meinem Esel gefallen.«
Gewissermaßen auf die gleiche Art sah ich mich plötzlich in ernster Gefahr, wegen gotteslästerlichen Verrats das Leben zu verlieren. Meine Lage war, genau wie die des Thebaners, im höchsten Grade unangenehm, und ich konnte niemandem auch nur ansatzweise verständlich erklären, wie ich da hineingeraten war, nicht einmal Phaidra, der ich über die ganze Angelegenheit schon alles Wissenswerte erzählt hatte. Daher verstehen Sie sicherlich, daß all meine übrigen Freunde und
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