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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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hatte, an der fraglichen Stelle habe sich ein Kaninchen oder Ehrenpreis befunden, sei ein Lügner, dem man in keiner Beziehung glauben könne, und würden für seine Hinrichtung stimmen. Hätte der unkundige Zeuge dagegen nicht aussagen dürfen, wäre die Aussage des Angeklagten zugegebenermaßen zwar nicht bestätigt worden, aber zumindest sein Ruf als Zeuge wäre unbeeinträchtigt geblieben. Habe ich recht?«
    »Ja, auf jeden Fall.«
    »Nehmen wir nun an, du stündest vor Gericht, und deine erfolgreiche Verteidigung hinge davon ab, daß es einen Regenguß gegeben hat. Stell dir vor, es gelänge dir nicht, jemanden zu finden, der den Regenguß abbekommen hat und daher aussagen könnte, er sei völlig durchnäßt worden, wüßtest aber, daß dein Nachbar eine Stunde vorher nach Hause gegangen ist und die dunklen Wolken gesehen haben muß. Könntest du von ihm nicht die Aussage erwarten, es habe eine Stunde vor dem Zeitpunkt, zu dem es nach deinen Angaben geregnet hat, nach einem Wolkenbruch ausgesehen, was deiner Darstellung der Ereignisse zumindest etwas Gewicht verliehe?«
    »Ganz sicher.«
    »Aber angenommen, dein Nachbar hätte sein ganzes Leben in einem dieser heißen Landstriche südlich von den Äthiopiern verbracht, wo es nie regnet, und deshalb nie die gedankliche Verbindung zwischen dunklen Wolken und Regen hergestellt. Hätte seine Aussage dann irgendeinen Nutzen für dich? Oder wäre sie sogar potentiell gefährlich, wie die Aussage des Mannes, der weder ein Kaninchen noch ein Ehrenpreis erkennen konnte?«
    »Natürlich wäre sie potentiell gefährlich.«
    »Dann stimmen wir also darin überein, daß ein irreführender Zeuge schlimmer ist als gar kein Zeuge?«
    »Auf jeden Fall.«
    »Und auch darin, daß ein Zeuge, der bezüglich einer bestimmten Angelegenheit über keinerlei Erfahrung und Kenntnisse verfügt, zum irreführenden Zeugen wird, selbst wenn er geneigt ist, die Wahrheit zu sagen?«
    »Unbedingt.«
    »Hatten wir nicht ganz am Anfang unserer Erörterung gesagt«, fuhr Sokrates fort und lehnte sich wieder zurück, »der Hauptunterschied zwischen Mann und Frau bestehe darin, daß Männer hinaus in die Welt ziehen und Frauen zu Hause bleiben und Männer darum über Erfahrungen und Kenntnisse von der Welt verfügen, die Frauen zwangsläufig fehlen? Und entspricht es nicht der Wahrheit, daß die Punkte, die sich im allgemeinen in Gerichtsverfahren als eines Beweises bedürftig herausstellen, genau die Dinge sind, die draußen in der Welt geschehen, wo Männer zusammenkommen, Geschäfte machen und miteinander Umgang pflegen? Also notwendigerweise die Dinge, mit denen Frauen keine Erfahrung haben, von denen sie nichts wissen und über die sie deshalb auch nicht aussagen sollten?«
    »Selbstverständlich«, antwortete ich.
    »Du stimmst mir also zu, daß nur Männer befähigt sind, in Gerichtsverfahren auszusagen, und Frauen davon ausgeschlossen sein sollten?«
    »Da stimme ich dir zu.«
    »Dir ist klar«, fuhr Sokrates fort, »daß alles, was ich bislang gesagt habe, nichts weiter als ein Haufen Unsinn gewesen ist?«
    »Ja, Sokrates.«
    »Und trotzdem fühlst du dich gedrängt zuzustimmen?«
    »Ja, Sokrates.«
    »Und weshalb? Weil ich so schnell, so flüssig und mit einem derart intelligenten und sachkundigen Gebaren gesprochen habe und drauf und dran war, irgendeine kluge Ansicht zu äußern, daß du dich nicht getraut hast, mich zu unterbrechen? Oder weil es, als du dahintergekommen bist, daß ich nur Unsinn rede, bereits zu spät war, mir zu widersprechen, ohne gleich für engstirnig oder schlichtweg für dumm gehalten zu werden?«
    »Genau deshalb.«
    »Nun denn, Eupolis, mein Freund«, sagte der Sohn des Sophroniskos, wobei er aufstand und sich demonstrativ den Staub vom Hinterteil wischte, »das ist die einzige Möglichkeit, mit der man in dieser Stadt Prozesse gewinnen kann. Wenn es dir gelingt, sie mit Worten zu bezaubern und mit einleuchtenden Ansichten irrezuführen, dann hast du schon gewonnen. Wenn nicht, mußt du dich damit abfinden, daß du mangels göttlichen Einschreitens wahrscheinlich sterben wirst, und da du keinen tüchtigen Fachmann wie mich aufgesucht hast, geschieht dir das ganz recht. Aber nach allem, was du in deinen sogenannten Komödien über mich gesagt hast, hätte ich dir sowieso nicht geholfen, selbst wenn du mir die gesamten Reichtümer des Königs Gyges dafür angeboten hättest; und von meinen Philosophenkollegen vermutlich auch keiner. Viel Glück, Eupolis, du wirst

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