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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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gekommen war, als nicht redlich und daher als Lügner betrachtet. Nach seiner in Gerichtssälen gesammelten Erfahrung wußte Demeas durch den bloßen Klang der Wasseruhr, wie weit sie noch gefüllt war, und begann also, aus dem Stegreif einen kurzen Schlußteil vorzutragen, um die überschüssige Zeit auszufüllen. Wenn ich aus dem Stegreif sage, übertreibe ich allerdings ein bißchen; mit dem beschriebenen Problem sind alle erfahrenen Redner vertraut und verfügen über kurze, zeitlich genau festgelegte und zu jedem Thema passende Textstücke, die genauso lange wie der Durchlauf von fünf oder zehn Mystronen oder jeder anderen Wassermenge dauern. Natürlich müssen sie diese Texte ständig ändern, da die Geschworenen sonst etwas aus früheren Reden wiedererkennen und mit Olivensteinen werfen könnten, doch im allgemeinen werden diese Schlußteile der Form und dem Inhalt nach eher im traditionellen Stil vorgetragen; im übrigen wird ein Redner von den Kennern häufig gerade nach der Güte dieser einstudierten Teile beurteilt. Es wird nämlich behauptet, anhand der eigentlichen Rede könne man die Begabung eines Redners nicht einschätzen, da er möglicherweise einen wirklich schrecklichen Fall vortragen muß (was hinderlich für ihn ist) oder einen ganz phantastischen (was ihm einen ungerechten Vorteil verschafft). Aber der Schlußteil ist mehr oder weniger der eigentliche Maßstab und wird zum einen durch den Inhalt und die Darbietung bestimmt und zum anderen durch das Geschick, mit dem der Redner einen Bezug zur laufenden Verhandlung herstellt.
    Demeas hielt also für den Bruchteil einer Sekunde inne und nahm dann seinen Schlußteil in Angriff, der wie folgt lautete:
    »Nur eins bleibt noch zu sagen, Männer von Athen; auch auf die Gefahr hin, euch etwas mitzuteilen, das ihr schon sehr gut wißt, werde ich euch daran erinnern, warum dieses Verbrechen so furchtbar ist, und insbesondere daran, warum es so wichtig ist, es zu bestrafen. Diese Straftat ist ein Verbrechen an der Stadt, und jedes Verbrechen an der Stadt ist – im Gegensatz zu einem Verbrechen an einem einzelnen Bürger – natürlich ein Angriff auf die Demokratie als solche. Demokratie ist ein Zusammenschluß von Menschen, ähnlich einer Ehe, nur daß in der Demokratie alle Beteiligten gleich sind. In einer Demokratie hat der einzelne keine Gewalt über einen anderen, weil der Staat die Gewalt über alle besitzt. In einer Demokratie genießt jeder einzelne Freiheit, weil er sich bewußt dem Allgemeinwohl unterordnet, das wir als Staat bezeichnen. Sondert sich nun ein Bürger von der Allgemeinheit ab, entweder aktiv durch die Verübung eines Verbrechens am Staat oder auch passiv, indem er sich einfach in irgendeiner Hinsicht unterscheidet, dann verliert er seine Identität als Mitglied dieses Staates. Er verliert seinen Zweck, seine Funktion, seine Existenzberechtigung. Es ist, als wäre er bereits tot. Das ist auch der Grund, warum die Verbannung solch eine schreckliche Strafe ist – manche halten sie für schwerer als die eigentliche Hinrichtung. Ein derartiger Mensch ist wie eine vom Körper abgeschlagene Hand; durch dieses abgetrennte Organ fließt nicht mehr das Blut des Gemeinschaftslebens, und es wird auf diese Weise zu nicht viel mehr als zu einem Stück Fleisch, an dem die Hunde herumnagen können. Wir, die wir als Athener in der einzig wahren Demokratie der Welt leben, sind in Wahrheit zehntausend Körper mit einer einzigen gemeinsamen Seele.
    Wenn sich also ein einzelner von der Allgemeinheit absondert, fügt sich dieser Mensch nicht nur selbst einen nichtwiedergutzumachenden Schaden zu, sondern er vergeht sich auch an uns und verdient deshalb die Schwerstmögliche Bestrafung. Er hat sich an unserer geschlossenen Gemeinschaft vergangen; er hat sozusagen einen Stein aus den Mauern Athens gerissen, und schon das Entfernen eines einzigen Steins kann den Einsturz der gesamten Mauer bewirken. Hört ein Mann in jeder Beziehung auf, ein Athener zu sein, dann darf man ihm nicht gestatten, in Athen zu leben, ja nicht einmal, überhaupt noch zu leben. Wächst ein Mann wie ein Trieb in die falsche Richtung, muß man ihn abschlagen, bevor er die Menschen in seiner Umgebung nachteilig zu beeinflussen und in die Irre zu führen vermag, und zwar deshalb, weil in einer Demokratie allgemeine Übereinstimmung herrschen muß.
    Im Fall dieses verachtenswerten Mannes hier, der alles, was in seiner Kraft stand, getan hat, um seiner Stadt den größtmöglichen

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