Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Schaden zuzufügen, ist nun ganz leicht zu erkennen, was am meisten im Interesse der Stadt liegt. Doch das ist gar nicht der Punkt, um den es mir hier geht. Ich habe vielmehr die Sorge, daß sich einige von euch vielleicht sagen: ›Eupolis hat ein Unrecht begangen und wird bestraft, dafür werden meine Geschworenenkollegen schon sorgen. Aber die Abstimmung ist schließlich geheim; in welche Urne ich meinen Kieselstein werfe, wird sowieso niemals jemand erfahren. Ich glaube, ich werde für seinen Freispruch stimmen; immerhin hat er den Marikas verfaßt.‹ Und das alles nur, weil dieser Mann Komödiendichter ist – und zwar ein guter, wie ich hinzufügen möchte – und vielen von euch mit seinen geistreichen Worten und aufsehenerregenden Chören großes Vergnügen bereitet hat. Diese Ansicht scheint lediglich eine harmlose Laune zu sein, und zweifellos werden einige von euch mit dem Gedanken gespielt haben, genauso abzustimmen. Aber denkt noch einmal darüber nach. Nicht nur diejenigen, die ein Unrecht begehen, und diejenigen, die sich gemeinsam mit ihnen verschwören oder ihnen dabei Vorschub leisten, sind in einer Demokratie schuldig und müssen bestraft werden, sondern auch diejenigen, die diese Übeltäter aus persönlichen oder eigennützigen Gründen verschonen. Da dieser Staat eine Demokratie ist, die auf dem Fundament der allgemeinen Übereinstimmung ruht und durch Einheit befestigt ist, können wir uns den Luxus persönlicher Motive nicht leisten. Wäre ich Mitglied in eurem Geschworenengremium und säße mein eigener Vater auf der Anklagebank, weil er sich eines Verbrechens an Athen schuldig gemacht hätte, ich müßte gegen ihn stimmen, obwohl mich sämtliche Erinnyen der Unterwelt für den Rest meines Lebens verfolgen würden. Das ist die schwere Bürde des Lebens in einer Demokratie; wir alle haben uns in ein Schema zu fügen oder müssen als unbrauchbar und gefährlich ausgesondert werden. Ich betone es noch einmal: Jeder, der für einen Freispruch stimmt, macht sich genauso schuldig, als hätte er das Verbrechen selbst begangen. Deshalb stimmt – und ich weiß, das werdet ihr auch tun – für die Verurteilung und den Tod; nur so können wir gemeinsam als Stadt das auf unseren Schultern lastende Miasma der Gotteslästerung dieses Mannes abschütteln.«
Kaum hatte Demeas seine Rede beendet, gluckerte die Wasseruhr ein letztes Mal, und im Gericht herrschte Totenstille. Ich wollte, ich könnte für Sie die vergnügten Mienen dieser Geschworenen einfangen. Demeas hatte eine gute Rede nach altem Muster gehalten, die aber mit diesen winzigen Prisen Neuem gewürzt gewesen war, die den Gaumen anregen. Jedermann wandte sich seinem Nachbarn zu und nickte, und ich hatte mich innerlich schon fast darauf eingestellt, daß sich die Geschworenen jeden Augenblick als Chor erheben und die Anapäste anstimmen würden. Doch selbst wenn ich Zeus und Dionysos und Pan, den Gott der Hirten und der Verwirrung, angerufen hätte und meine Gebete erhört worden wären, hätte ich mir keine nützlichere Rede wünschen können. Sie paßte haargenau zu dem, was ich vorbereitet hatte, und an der Rede, die ich wie eine schwangere Frau im achten Monat mit mir im Kopf herumtrug, wären nur wenige geringfügige Änderungen erforderlich. Als der Gerichtsdiener meinen Namen rief und mich aufforderte, meine Verteidigung vorzutragen, spürte ich, wie mir die Last der Angst von den Schultern fiel, als wäre ich ein Mann, der sich kein Maultier leisten kann und gerade einen schweren Korb voller Oliven absetzt, den er vom Land bis in die Stadt getragen hat. Ich stand auf, wartete, bis man die Uhr wieder gefüllt hatte, und hob mit meiner Rede an.
13. KAPITEL
»Ich weiß nicht, wann mir in all den Jahren, in denen ich an Debatten teilgenommen habe, eine Rede mehr gefallen hat als die eben von Demeas gehaltene«, sagte ich. »Die hatte einfach alles, oder? Sie hatte eine klare Gliederung, Tempo, Stil und Abwechslung. Nur einen Kunstgriff hatte Demeas ausgelassen: ein paar Sklaven herumlaufen zu lassen, die kostenlos Haselnüsse verteilen. Sobald er ein Thema erschöpfend behandelt hatte, ging er unmittelbar zum nächsten über; aber die Richtungswechsel habt ihr gar nicht bemerkt, so geschickt hat er die Übergänge genommen. Die Rede schien zu fließen wie die Bäche in den Bergen, wenn im Frühjahr das Eis schmilzt. Im Grunde bewundere ich seine Rede so sehr, daß ich es einfach nicht fertigbringe, darauf zu antworten, denn das wäre
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