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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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daß auch nur ein Obolos dieses Geldes zu eurem Nutzen verwandt wird? Mein Vermögen aufzuteilen, wobei so manche Drachme pro Mann herausspränge, das fände ich zugegebenermaßen recht und billig. Aber das wird nicht geschehen; vielmehr wird man das ganze Geld für den Krieg oder öffentliche Gebäude oder die Löhne von Gesandten oder das Anwerben von Söldnern oder auf irgendeine der aberhundert sonstigen Arten vergeuden, auf die eine Gemeinschaft von Menschen, wie ihr es seid, Geld verprassen kann, das sie nicht mehr als ihr eigenes betrachtet. Und welcher Vorteil wird euch daraus erwachsen, frage ich euch? Ihr braucht gar nicht zu überlegen, ich sage es euch: keiner. Nicht euch kommt das Geld zugute, sondern Athen. Und was ist dieses Gebilde, das wir Athen nennen? Auch das sage ich euch: Es ist ein riesiges Mißverständnis, das sich selbst erhält und in der Hoffnung fortgesetzt wird, daß es sich eines Tages von allein lösen wird.
    Angefangen hat es folgendermaßen. Einst, vor langer, langer Zeit, als die Welt jung war und sich die Menschen ihren Lebensunterhalt noch auf ehrliche Weise verdienen mußten, zu einer Zeit, als die Gerichtshöfe noch nicht erfunden waren, kamen dort, wo heute der Marktplatz liegt, drei Schäfer zusammen. An der Stelle wuchs ein Feigenbaum, unter dessen Zweigen sie vor der Sonne Schutz suchten. Eines Tages jedoch starb der Feigenbaum ab, und deshalb schichteten die Schäfer, die sich an die Zusammenkunft an dieser Stelle gewöhnt hatten, einige Steine und Holzstücke übereinander, um sich selbst und ihren Herden einen künstlichen Schatten zu schaffen.
    Nach einer Weile kamen auch andere Schäfer der Gegend vorbei, um sich in den Schatten des Steinhaufens zu setzen, und schon bald war nicht mehr für alle Platz. Also vergrößerte man den Haufen; und je größer er wurde, desto mehr Menschen kamen, um ihn sich zunutze zu machen. Der Steinhaufen wurde zu einem anerkannten Treffpunkt für den Handel und die Erörterung der Ernteaussichten mit anderen Menschen. Als nächstes entwickelte sich der Steinhaufen zu einem Markt, und ein Mann (an dessen Namen ich mich so auf Anhieb nicht erinnern kann; da erkundigt ihr euch besser bei Herodot) baute ein Haus, damit er gleich in der Nähe war, wenn morgens der Markt geöffnet wurde. Und ehe man sich’s versah, stand eine kleine Siedlung da, und aus der Siedlung wurde ein Dorf, und das Dorf weitete sich zu einer Stadt aus. Das Problem war nur folgendes: Inzwischen lebten so viele Menschen in der Gegend, daß es für ihre Schafe kein Gras mehr zu fressen gab, und bald sahen die Menschen so dünn aus wie Peison, der Maler. Darum gaben sie das Schafehüten auf und bauten statt dessen Gerste an. Aber Gerste kann man erst anbauen, wenn man weiß, welches Stück Land einem selbst und welches jemand anderem gehört, und deshalb sah man sich zur Erfindung des Eigentums gezwungen; verfügt man aber erst einmal über Eigentum, muß man auch Gesetze haben, also kamen als nächstes die Gesetze. Das brachte einen natürlich in Konflikt mit den Menschen, die nicht in der Stadt wohnten und deren Land man allmählich einnahm (weil nicht genügend da war), und von daher ergab sich die Notwendigkeit, den Krieg zu erfinden.
    Und so tauchten nacheinander aus dem Nichts alle diese Dinge wie Krieg und Gesetze und Eigentum auf, ähnlich verloren geglaubten Verwandten, wenn ein Testament angefochten wird; und bald gab es Werften und Archonten und Steuern und Strafverfolgungen aufgrund von Gesetzesverstößen und Spitzel und Politiker und Straßenkämpfe und Ostrakismos und Philosophen und die Pest und Tilgungshypotheken und Redekunst und Grenzsteine und Polizeibeamte und den Schierlingsbecher und Trockenfisch und Solon und die oligarchische Bewegung und den Staat und Silbergeld und Redensarten und den Bürgerkrieg und Geschworenendiäten und die Marktaufseher und das Theater und Gesandte und rote Seile für die Volksversammlung und alle weiteren herrlichen Zutaten, die den zusammengekochten Eintopf ausmachen, den wir als athenische Demokratie bezeichnen. Und niemand konnte sich erinnern, wo alle diese Menschen hergekommen waren und was sie dort verdammt noch mal zu suchen hatten, und niemand wollte sie haben oder wußte, wie er mit ihnen fertigwerden sollte; deshalb gründete man einen Ausschuß kluger Männer unter Vorsitz des Archon Basileus, um über die nächsten notwendigen Schritte zu entscheiden.
    Die Ausschußmitglieder saßen nun zusammen und redeten und

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