Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Volksversammlung gehen – wie immer; ihr werdet einer Rede lauschen, in der man euch vorschlägt, eine Flotte zur Eroberung des Monds auszusenden – wie immer; und diese Flotte wird vernichtet werden, und mit ihr dreißigtausend Mann – wie immer; daraufhin werdet ihr irgendeinen unschuldigen kleinen Mann hinrichten, bloß weil er während der heiligen Hymne gehustet hat – wie immer; dann werdet ihr euch fragen, warum euch die Götter mehr hassen als den Styx – wie immer; ihr werdet jemand anderen dafür hinrichten, die Götter erzürnt zu haben – wie ihr es schon immer getan habt und immer tun werdet –, bis der König von Sparta oder der Großkönig von Persien kommt und euch alle gefährlichen Spielsachen wegnimmt. Und dann, wenn ihr alt und verkrüppelt seid, werdet ihr euren Enkeln erzählen, in Athen habe es einmal eine Demokratie gegeben, und in jenen Tagen sei mitten auf den Straßen ein klebriger breiter Strom Honig geflossen, und ihr hättet euch bloß einen Brotkanten greifen, hinausgehen und den Honig damit aufwischen zu brauchen. Aber die Spitzel und die Krawalle und den Krieg und die Pest und die Gerichtsverhandlungen gegen unschuldige Männer und die Unmenge Blut, die man sich für drei Obolen kaufen konnte, die werdet ihr vergessen haben. Dann werden die Dichter und Geschichtsschreiber sagen, im Goldenen Zeitalter Athens habe eine Demokratie bestanden, wie sie die Menschheit nie wieder erblicken werde, in der alle Menschen gleich gewesen seien und selbstlos zum Wohl des Staates zusammengearbeitet hätten. Und was, glaubt ihr, wird dann geschehen? Nun, Dummköpfe, die wünschten, sie könnten auch eine so vollkommene Demokratie haben wie die, die einst in Athen in Attika bestanden hat, wird es immer geben, und sie werden Bürgerkriege führen und sich gegenseitig umbringen und die Mauern ihrer Stadt mit ihrem Blut dunkel färben, im Namen von Demokratie und Freiheit und den unveräußerlichen Rechten der Menschheit. Wie sie es immer tun, Männer von Athen, wie sie es immer tun werden, bis jemand aufsteht und diesem Unsinn ein für allemal ein Ende bereitet.
Einst herrschte ein Tyrann über Athen, und sein Name war Peisistratos. Durch einen Staatsstreich riß er die Macht an sich und schaffte die Demokratie ab. Er erhob eine Steuer und finanzierte mit den Einnahmen die Anpflanzung von Rebstöcken und Olivenbäumen in Attika, damit die Einwohner Athens in Zukunft über Ernteerträge zum Verkaufen verfügten und das Mehl erwerben konnten, das sich nicht für den Eigenbedarf anbauen ließ. Eine Zeitlang waren alle glücklich, und der Tyrann starb. Ihm folgten seine Söhne, und sie versuchten, seine Arbeit fortzusetzen; aber zu essen hatten die Menschen von Athen mittlerweile, und jetzt stand ihnen der Sinn nach Unterhaltung. Deshalb wurden sie der Söhne des Peisistratos überdrüssig und wollten sie loswerden; doch die Waffen zu ergreifen, dazu waren sie zu feige. Einem der Söhne des Tyrannen gefiel ein hübscher Junge namens Aristogeiton; doch Aristogeiton hatte einen Freund namens Harmodios, der krankhaft eifersüchtig war. Also ermordeten Harmodios und Aristogeiton gemeinsam den Sohn des Tyrannen, und zwar auf besonders feige Weise: Sie warteten bis nach dem Fest, versteckten Dolche in ihren Lorbeerkränzen und brachten den Sohn des Tyrannen um, als er vorbeikam. Nachdem man die gefährliche Arbeit für sie erledigt hatte, da entbrannte in den Herzen der Athener die Freiheitsliebe, und sie schüttelten das Joch der Tyrannei von sich ab. Als erstes errichteten sie eine Statue für den berühmten Harmodios und den gefeierten Aristogeiton, die wir heute als Tyrannenmörder verehren. In dieser Art und Weise zeichnen wir Männer aus, die uns aus Versehen befreit haben und von einem niederen Beweggrund getrieben wurden. Wie würden wir denn Männer auszeichnen, denen es einzig und allein darum ginge, uns zu befreien?
Na, so was, da hat mich doch gerade die Wasseruhr angegluckert und mich darauf aufmerksam gemacht, zu meinen Schlußbemerkungen zu kommen, und dabei habe ich noch nicht einmal mit meiner Verteidigung angefangen. Deshalb glaube ich, das einzige, was ich in der mir noch zur Verfügung stehenden Zeit tun kann, besteht darin, meine Verteidigung zu ändern und mich schuldig zu bekennen. Ja, Männer von Athen, ich gestehe. Ich habe tatsächlich die Statuen zertrümmert, genau wie es Demeas und Aristophanes, der Sohn des Philippos, behaupten (obwohl das, unter uns gesagt, purer Zufall
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