Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
schreiben, weil ich ja tot sein werde. Ich weiß, das klingt ein wenig sokratisch, doch irgendwo liegt eine tiefe Wahrheit darin. Soweit ich weiß, stehen mir alle die großen Tragödien meines Lebens – die Themen also, die einer dramatischen Behandlung wirklich würdig sind – noch bevor. Folglich handelt es sich bei allem, was ich bislang erzählt habe – meine Rolle im Krieg, mein Prozeß und mein Freispruch –, um nichts weiteres als um Randbemerkungen, die vom Abschreiber zur Erläuterung der Zusammenhänge in den eigentlichen Text eingefügt werden. Dennoch möchte ich gern glauben, daß mich die Götter nicht als Zeugen für weitere ungewöhnliche Vorfälle benötigen. Ich für meinen Teil habe vom Schreiben dieses Buches die Nase voll; es ruft mir Dinge ins Gedächtnis zurück, die ich gern völlig vergessen hätte, und erinnert mich daran, daß ich schon in meiner Jugend genauso ein Dummkopf gewesen bin wie heute.
Als ich heute morgen mit der Arbeit begann, war ich deshalb versucht, den Augenblick meines Freispruchs zur letzten Szene dieses Dramas zu machen, ihn als Stichwort für den Schlußchor zu nehmen, noch einen kleinen Tanz von einem Solisten folgen zu lassen, um dann endlich Feierabend machen zu können. Damals schien mein Freispruch ganz zweifellos eine gute Schlußszene abzugeben, insbesondere für einen Menschen wie mich, der über einen ausgeprägten Sinn für den dramaturgischen Aufbau eines Stückes verfügt. Als ich an jenem Tag nach Hause ging, hatte ich den Eindruck, daß alles zusammenpaßte: Alle Darsteller hatten die richtige Menge Text, alle ihre Auf- und Abgänge, Kostüm- und Maskenwechsel hatten sich am Ende als gut erwiesen, und jedes angeschnittene Thema konnte mit der Gesamtwirkung des Stücks gerechtfertigt werden. Wenn ich ein Stück fertiggestellt habe und der Ausrufer meinen Chor auf die Bühne bittet, sitze ich fast immer voller Selbstzufriedenheit da, und dann fällt mir plötzlich der vollkommene Witz oder die ideale Dialoggestaltung ein, wodurch eine Szene erst den letzten Schliff bekommen oder eine Lücke geschlossen werden würde, doch kann ich in diesem Moment natürlich nichts mehr daran ändern, und das arme Stück ist für alle Zeiten zur Unvollkommenheit verdammt. An jenem Abend, als ich mir die Sandalen von den ungewöhnlich feuchten Füßen streifte und mich auf die Liege im eigenen vertrauten Haus fallen ließ, hatte ich dieses selbstzufriedene Gefühl allerdings nicht. Die lustige Geschichte über Eupolis von Pallene schien zu Ende zu sein, und ihrer Hauptfigur stand es offenbar frei, von der Bühne abzutreten.
Aber natürlich ergab es sich nicht so; das ist nie der Fall, und in genau diesem Punkt irren sich unsere großen Dichter. Eines Tages will ich ein gewaltiges langes Epos darüber schreiben, was all den Helden von Troja widerfuhr, nachdem sie schließlich nach Hause zurückgekehrt waren und wieder ihre Throne bestiegen, ihre Schilde in die Dachsparren gehängt und sich dem Ackerbau gewidmet hatten. Ich möchte alle diese erschöpften alten Männer dazu zwingen, noch ein paar Abenteuer mehr zu erleben, gerade als sie geglaubt hatten, sie könnten wieder in ihre alten Kleider schlüpfen und sich ausruhen. Odysseus möchte ich aus dem Ruhestand zurückbeordern, damit er sich mit einem katastrophalen Ausbruch von Schafpocken auf Ithaka befaßt oder den Inselrat zu überreden versucht, das Geld für die ordentliche Instandsetzung des Hafens und die Ausbesserung der Straßen aufzutreiben. Menelaos soll nach meinem Wunsch seinen fetten Hintern erheben und etwas gegen den Mangel an Saisonarbeitern im spartanischen Olivengewerbe tun, obwohl das seinerseits vielleicht nichts weiter als ein Vorwand ist, aus dem Haus hinaus und von Helena wegzukommen, die seit ihrer Rückkehr aus Troja immer feister geworden ist und ihm ständig mit der Renovierung des Innenraums in den Ohren liegt. Ich möchte Neoptolemos eines Morgens aufwachen und feststellen lassen, daß ihm irgendein Barbar den besten Pflug gestohlen und das Gatter der Schafhürde offengelassen hat.
Nachdem ich nach der Gerichtsverhandlung eine ganze Nacht lang geschlafen und viel zuviel zum Frühstück gegessen hatte, bemühte ich mich als erstes, meine persönlichen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, die in einem katastrophalen Zustand waren. Der Großteil meines beweglichen Vermögens befand sich in Thessalien und war, soweit ich wußte, von dem reizenden Alexander bei Wagenrennen an die
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