Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Wir wollen Blut und Komödien sehen – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Wie wäre es, wenn ich euch erzählte, was eine Demokratie ist, und ihr mir dann mitteilen würdet, ob ein Mann, der sie zu vernichten versucht, wie es nach Demeas’ Worten auf mich zutrifft, zu sterben oder mit einem Standbild geehrt zu werden verdient, so wie wir Harmodios und Aristogeiton ehren, die den Tyrannen umgebracht haben? Ist das eine angemessene Art, die Zeit zu vertreiben, bis diese komische Wasseruhr dort drüben endlich versiegt und es so weit ist, die Stimmsteine in den Schlitz zu werfen? Also, ich finde schon, und immerhin bin ich derjenige, der vor Gericht steht. Wenn euch das nicht paßt, wißt ihr ja, was ihr tun könnt.
Demokratie ist eine Staatsform, in der man großen Menschen die Füße abschneidet, damit sie die gleiche Größe wie alle anderen haben, und dann behauptet, alle seien gleich. Demokratie ist eine Möglichkeit, Sachverhalte so vorzutragen, daß einem die Menschen das glauben, was man abstreitet, und nicht glauben, was man behauptet. Sie ist ein Geisteszustand, in dem man jeder Verleumdung eines Menschen Glauben schenkt, so unglaublich sie auch sein mag, ihm aber nichts Gutes zutraut, selbst wenn man ihn mit eigenen Augen dabei beobachtet. Eine Demokratie ist ein Ort, an dem der Lohn für gute Taten im Tod durch den Schierlingsbecher besteht und die Strafe für begangenes Unrecht mit einer Pension und einer Statue auf dem Markt belohnt wird. Demokratie ist ein Rechensystem, in dem der größte gemeinsame Nenner gleichzeitig den kleinsten gemeinsamen Faktor darstellt und in dem zwei und zwei immer fünf ergibt – nämlich vier plus einen für die Bestechung des zuständigen Beamten. Eine Demokratie ist eine Stadt, in der die einzige Voraussetzung für die Ausübung von Macht darin besteht, sie ausüben zu wollen, und in der gerade die Menschen, die dazu bereit sind, unter allen Umständen daran gehindert werden sollten. Demokratie ist ein System, in dem jeder lesen kann, aber keiner etwas versteht; in dem sich niemand auf eine ordentliche Mahlzeit verlassen kann, wenn er Hunger hat, dafür aber auf ein Staatsbegräbnis, wenn er im Kampf fällt. Demokratie ist ein System, zu dem jeder etwas beisteuert, von dem jedoch keiner etwas zurückerhält. Sie ist ein System, in dem zwar ein kluges Wort zur rechten Zeit mehr Schaden anrichten kann als König Xerxes’ Heer, aber eine gute Absicht der kürzeste Weg in den Kerker ist. Eine Demokratie ist eine Stadt, in der ein Montag durch die Stimmenmehrheit der Bürger zu einem Dienstag gemacht werden kann, und in der Schwarz Weiß ist, wenn es genügend Menschen so wollen. Demokratie ist eine Möglichkeit, das eigene Leben in geregelte Bahnen zu lenken, wobei man zwar nicht weiß, wo die nächste Mahlzeit herkommt, dafür aber die Heerführer hinrichten lassen kann, wenn man hungert. Demokratie ist das Erntedankfest von Kannibalen, wobei alle das Menschenmögliche tun, um die Hand zu ernähren, in deren Würgegriff sie sich befinden. Eine Demokratie ist eine Theorie der Logik, nach der alles Schlaue der Wahrheit entspricht, alles Wohlschmeckende gut für einen ist, alles, was sich im Besitz eines anderen befindet, auch einem selbst gehört und alles, was einem selbst gehört, in Gefahr ist, eingezogen zu werden. In einer Demokratie haben die impotenten alten Männer das Recht, vor den gutaussehenden jungen Burschen mit den hübschen Mädchen zu schlafen, und alle anderen haben das Recht, Steuern zu bezahlen. In einer Demokratie – und nur in einer Demokratie – kann ein Mann wegen eines Schwerverbrechens vor Gericht gestellt werden, das er überhaupt nicht begangen hat, doch wenn er wirklich schlau ist, kann er durch lautstarke Beschimpfungen der Geschworenen davonkommen.
Am heutigen Tag ist in Athen wenigstens ein Kind geboren worden. Es wird als Bürger der größten Demokratie aufwachsen, die die Welt je gesehen hat. Wenn es nicht im Krieg oder durch die Richter umkommt, erlebt es noch das Ende der Demokratie in unserer Stadt mit – denn obwohl das vielen Menschen das Leben kosten wird, wird sie zu einem Ende kommen und wahrscheinlich durch etwas noch Schlechteres ersetzt werden. Doch solange sie besteht, wird sich die Demokratie auf dieselbe Art fortsetzen wie seit jeher. Ihr alle wißt über die mythischen Ungeheuer mit den Löwenköpfen, Ziegenkörpern, Greifenschwänzen und Kamelhufen Bescheid, die in den alten Zeiten von den Helden getötet
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