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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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mich anzuwenden. Dadurch war ich in der Lage, den Schild zwischen sein Schwert und meinen wie beschwipst dröhnenden Kopf zu halten. Soweit es uns beide betraf, war das Gefecht damit beendet.
    Zu diesem Zeitpunkt entschloß sich der kleine Zeus zum Eingreifen. Ich glaube, er hatte genug mit eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt und war gerade erst auf die Bedrohung seines geliebten Eupolis aufmerksam geworden. Jedenfalls bot sich ihm hier endlich die Gelegenheit, mein Leben zu retten, und die bloße Tatsache, daß mir gar keine Gefahr mehr drohte, war nicht dazu angetan, ihn von diesem Schritt abzuhalten. Wie ein Löwe sprang er mit Gebrüll auf den Syrakuser zu und stieß mit dem Speer nach ihm. Der Syrakuser versuchte noch, ihm auszuweichen, war aber nicht schnell genug. Die Speerspitze fuhr ihm in die Stirn und am Hinterkopf wieder hinaus, wobei ich mit einem nicht unerheblichen Teil seiner Gehirnmasse bespritzt wurde. Der kleine Zeus riß den Speer wieder heraus, schwenkte ihn triumphierend durch die Luft und stieß einen Siegesschrei aus, der sicherlich noch auf der anderen Seite Siziliens zu hören war. In seiner Begeisterung bemerkte er überhaupt nicht den anderen Syrakuser, der unmittelbar hinter ihm stand, wenigstens nicht, bis dieser ihm in den Hals stach. Der kleine Zeus verstummte mitten im Schrei – vermutlich war seine Luftröhre durchtrennt worden – und sackte zu Boden. Der Syrakuser ließ den Speer in der Wunde stecken und wurde den Pfad hinuntergerissen, bevor ich auch nur daran denken konnte, ihn anzugreifen.
    Ich stand da, das Gesicht über und über mit fremdem Blut und Gehirnmasse bespritzt, und fragte mich, was in aller Welt los sei. Ich fühlte mich völlig benommen und unbeteiligt, als wäre ich unsichtbar wie einer der Götter bei Homer, die sich ungesehen durch das Schlachtgewühl hindurchbewegen. Jedermann weiß, daß er selbst wie auch seine Freunde und Bekannten früher oder später sterben wird, und nach einer Weile wird der Gedanke als ein Problem verdrängt, dem man sich erst stellen muß, wenn die Zeit gekommen ist. Dennoch glaubt man, zumindest das Recht auf eine Vorwarnung vor einem solchen Ereignis zu haben, damit man Zeit hat, sich seelisch darauf vorzubereiten. Im Laufe jener Nacht hatte ich zwar des öfteren an die Möglichkeit gedacht, selbst getötet zu werden, aber auf den Gedanken, daß jemand anders, also der kleine Zeus oder Kallikrates oder irgendeiner meiner übrigen Freunde, umkommen könnte, war ich überhaupt nicht gekommen, und durch diesen völlig überraschenden Vorfall war ich wie vom Donner gerührt. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich in dieser Nacht wieder vom Epipolai hinuntergekommen bin. Daß ich dabei irgendwelche Schwierigkeiten mit dem Feind hatte, glaube ich nicht, denn daran würde ich mich bestimmt erinnern. Ich nehme an, ich habe eine Zeitlang nur dagestanden und bin dann irgendwie den Pfad hinuntergelangt. Mein Gehirn hat überhaupt nicht mehr gearbeitet. Ich kann nicht behaupten, vor Schmerz überwältigt gewesen zu sein, ich bin mir nicht einmal sicher, besondere Erschütterung empfunden zu haben, obwohl ich keineswegs an solche außergewöhnlichen Vorfälle gewöhnt war. Ich habe schlichtweg keine Erinnerungen an meine damaligen Empfindungen. Es ist, als wäre der Inhalt meines Gehirns ausgelöscht worden, so wie man mit einem feuchten Tuch Flecken von einem Marmorboden wischt.
    Anscheinend kehrte ich schließlich zu unserem Lager zurück. Ich erinnere mich noch, dort angekommen zu sein, und soweit ich weiß, befand ich mich in Begleitung anderer Leute. Jedenfalls stand Kallikrates mit einem tiefen Schnitt über dem linken Auge, ansonsten aber springlebendig, am Eingang. Ich erinnere mich auch noch, daß ich mich natürlich freute, ihn lebend wiederzusehen, doch hielt sich meine Freude in Grenzen, da mir in diesem Augenblick nichts von allzu großer Bedeutung zu sein schien. Es war genau dasselbe Gefühl, das ich während der Pest gehabt hatte, als ich den Stall verließ und feststellte, daß alle tot waren. Es muß wohl der Anblick des dastehenden Kallikrates gewesen sein, der mich daran erinnerte. Es kam mir beinahe so vor, als wäre die ganze Zeit zwischen der Pest und diesem Augenblick ein Traum gewesen, aus dem ich gerade aufgewacht war, und als wäre ich wieder auf mich selbst gestellt, da ich mich schon dadurch, daß ich überlebt hatte, unabänderlich von allen anderen unterschied.
    Doch dann kam Kallikrates auf mich

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