Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Erlebnis, wenn man bedenkt, was das letztemal passiert war, als wir in diesem Krieg nach Einbruch der Dunkelheit losgezogen waren. Doch diesmal hatte Demosthenes vorgesorgt und zum Zusammenhalt des Heeres ein einfaches, aber wirkungsvolles Nachrichtennetz aufgebaut, das auf Boten beruhte. Bedauerlicherweise verweigerte Nikias die Zusammenarbeit – allein die Götter wissen, warum –, was zur Folge hatte, daß sich seine Heeresabteilung von Demosthenes’ Truppe trennte und auf eigene Verantwortung losmarschierte. Später hörte ich, Nikias sei der Überzeugung gewesen, es könne ihm, wenn er sich von Demosthenes trennte, und sich beeilte, vielleicht gelingen, sich bis nach Catina durchzuschlagen, während die Syrakuser mit dem Niedermetzeln von Demosthenes’ Abteilung beschäftigt wären; richtig daran ist sicherlich, daß Nikias’ Männer einen beträchtlichen Vorsprung vor uns gewannen. Trotzdem weigere ich mich zu glauben, daß Nikias sich bewußt zu diesem Schritt entschieden hatte, und vermute vielmehr, daß es ein Ausdruck seines von Verwirrung und Unbeholfenheit geprägten Allgemeinzustands gewesen war.
Wie dem auch sei; das Heer war jetzt in zwei Teile getrennt, was uns ein wenig verwundbarer machte. Wir dachten, wir kämen ohne den ganzen Plunder, den wir vorher mitgeschleppt hatten, schneller voran, aber dafür hatten wir jetzt zahlreiche Verwundete dabei; denn durch die Pfeilattacken waren sehr viel mehr Männer verletzt als getötet worden. Da der Tod der Verwundeten fast immer nur eine Frage der Zeit war, machte das allerdings kaum einen Unterschied, außer daß die unmittelbare Nähe so vieler Sterbender kaum zur Stärkung unserer Moral beitrug – trotzdem weigerten wir uns, sie zurückzulassen. Viele Männer führten nämlich unsere derzeit mißliche Lage darauf zurück, daß wir damals die Verwundeten im Lager bei Syrakus zurückgelassen hatten, und waren nun fest entschlossen, denselben Fehler kein zweites Mal zu begehen. Folglich kamen wir auch ohne den unnützen Ballast nicht wesentlich schneller voran.
Als es hell wurde und keine Spur vom Feind zu sehen war, geriet das Heer in einen derartigen Freudentaumel, daß man hätte glauben können, wir wären bereits wohlbehalten zu Hause in Attika angekommen. Bald erreichten wir das Meer, dessen Anblick uns noch mehr aufheiterte. Selbst wenn wir keine Schiffe mehr hatten, waren wir immer noch Athener, und durch den Anblick des vielen blauen Wassers fühlten wir uns der Heimat irgendwie ein Stück näher. Als wir auf eine ausgebaute Straße stießen, steigerte sich sogar allmählich unsere Marschgeschwindigkeit. Es herrschte die allgemeine Ansicht, daß Demosthenes diesem Weg folgen wollte, bis wir zu einem Fluß namens Kakysoundso kämen (wenn es darum geht, Namen mit mehr als zwei Silben zu behalten, bin ich ein hoffnungsloser Fall), um sich dann landeinwärts zu wenden, in der Hoffnung, dort auf die Barbaren zu stoßen, die auf unserer Seite waren. Offenbar besaßen sie Unmengen von Reitern und leichtbewaffneten Fußsoldaten, und mit ihrem Haß auf die Syrakuser würden sie diese bestimmt so gut wie im Handumdrehen verjagen.
Allein aus dem Hochgefühl heraus, nicht verfolgt oder beschossen zu werden, benahmen sich viele von uns so, als wären sie betrunken; schließlich hatten uns die Syrakuser vier Tage lang im Genick gesessen, und das hatte einen immer stärker werdenden Eindruck hinterlassen. Jetzt, da wir sie nicht mehr sahen, sangen wir und tollten umher wie kleine Kinder, und stellten uns vor, was sie gerade taten und ob sie uns schon vermißten. Wir wünschten uns nichts mehr, als die dummen Gesichter ihrer mächtigen Heerführer Hermokrates und dieses Spartaners Gylippos zu sehen, als sie heute morgen zum Spielen herauskamen und nichts als ein verlassenes Lager vorfanden – und keine Ahnung hatten, in welche Richtung wir verschwunden waren. Nach unserer Überzeugung hatten sie als Syrakuser bestimmt Gylippos beschuldigt, er habe uns absichtlich entkommen lassen (was, wie es der Zufall wollte, wirklich passiert war), und ihm den Kopf abgeschlagen (was nicht eintraf). Wir malten uns sogar aus, was sich die beiden Heerführer gerade zu sagen hatten, zum Beispiel:
Gylippos: Also, hör mal, schließlich hast du die Athener als letzter gehabt.
Hermokrates: Ich weiß genau, daß ich sie noch vor einer Minute gehabt habe. Verdammt, immer verliere ich was – Bindfadenstückchen, alte Ölkrüge, Schlachten…
Gylippos: Wo hattest du sie
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