Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
überzeugten. Sie blickten uns einmal kurz an und machten sich dann aus dem Staub, wobei uns einige im Laufen Schmähungen nachriefen. Vielleicht hätte ich vom Erfolg dieser List nicht so überrascht sein sollen, wie ich es damals war, denn es ist ein allgemeines Prinzip der menschlichen Natur, daß einem die Leute ohne weiteres die Betrunkenheit abkaufen, wenn man laut singt und herumtorkelt. Sie wollen, daß man betrunken ist, weil es ihnen dadurch möglich ist, einen auf den ersten Blick zu verachten.
Womit Aristophanes nicht gerechnet hatte (vermutlich gibt es auch keinen Grund, warum er es hätte hm sollen), war die Tatsache, daß die Einwohner Leontinis aufgrund verschiedener die öffentliche Ruhe störender Vorfälle in ihrer Stadt erst kürzlich einen Erlaß herausgegeben hatten, wonach Trunkenheit in der Öffentlichkeit eine Straftat war, die mit einer empfindlichen Geldbuße belegt wurde. Demgemäß wurden wir bereits bei Erreichen des Dorfrands von einem Spähtrupp der Reiterei und dem Dorfrichter erwartet, der uns festnahm. Der folgende Dialog spielte sich zwischen Aristophanes, der an der Spitze unseres kleinen Zugs auf dem Maultier ritt, und dem Dorfrichter ab.
Dorfrichter: Ihr seid verhaftet.
Aristophanes: Weswegen? Wir haben nichts getan.
Dorfrichter: Wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit.
Aristophanes: Das ist doch kein Verbrechen, oder was meint ihr, Kumpels? Also wirklich, das ist doch kein Verbrechen.
Dorfrichter: Woher stammst du?
Aristophanes: Aus Leontini, der schönsten Kleinstadt auf der Welt. Geboren und aufgewachsen bin ich in…
Dorfrichter: Du klingst mir nicht nach einem Leontiner.
Aristophanes: Ehm …
Dorfrichter: Ihr klingt mir alle nach Athenern.
Das war für Aristophanes genug. Er geriet in Panik, schlug verzweifelt mit der Fackel nach dem Dorfrichter und trat dem Maultier wie wild in die Seiten, was angesichts seiner früheren Erfahrungen mit dem Tier eine große Dummheit war: Das elende Vieh blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und stieß mehrmals hintereinander ein Gebrüll aus, das wahrscheinlich halb Sizilien aufweckte. Der Dorfrichter – ein mutiger, aber törichter Mann – packte es an den Zügeln und bekam als Dank für seine Mühen die Fackel ins Gesicht. Die Reiter zückten die Schwerter, die drei Athener zogen die ihren und wickelten sich zum Schutz die Umhänge um den Arm.
Ich dagegen hatte es für den Fall einer plötzlich gebotenen Flucht bewußt vorgezogen, am Ende des kleinen Zugs zu bleiben, und nahm sofort die Beine in die Hand. Ein Reiter setzte zu meiner Verfolgung an, doch einer der drei Athener schlug nach ihm und traf ihn direkt über dem Knie. Vor Schmerzen heulte der Reiter auf und galoppierte davon, und niemand weiß, was danach aus ihm geworden ist. Inzwischen hatte ich mich umgedreht und sah, wie die übrigen Reiter die drei Athener niederschlugen, ganz so, wie ein Förster das Unterholz lichtet. Ich hatte mich bereits innerlich darauf eingestellt, in das nächstgelegene Versteck zu flüchten, als mir wieder einfiel, daß es meine von einem Gott auferlegte Pflicht war, Dionysos’ Lieblingsdichter zu beschützen. Höchst widerwillig zog ich mein Schwert und lief mißmutig zurück.
Wenigstens einmal in seinem Leben hatte Aristophanes etwas Vernünftiges getan: Er war vom Maultier gefallen. Somit war er den Reitern nicht in die Quere gekommen, während sich diese mit den drei Athenern befaßt hatten, und in der Zeit bis zu meiner Rückkehr an den Ort des Kampfes war er unter das Maultier geklettert und hielt sich dort versteckt. Nun hatten mich die Reiter nicht zurückkommen sehen, und der Dorfrichter (der nach meinem Dafürhalten etwa sechzig Jahre alt gewesen sein mochte und gerade eine brennende Fackel abbekommen hatte) war aus der Gefahrenzone getreten und wandte mir den Rücken zu. Ich packte ihn an den Haaren, drückte ihm die Schwertklinge an die Kehle und verkündete mit der lautesten Stimme, die ich aufbringen konnte, ich hätte eine Geisel und sei ein ziemlich blutrünstiger Mensch. Zwar vollbrächte ich damit leider keine Heldentat, aber ich sei eben auch kein Held.
Diese Mitteilung brachte den Truppführer deutlich aus der Fassung. Vermutlich war er ein Ortsansässiger, möglicherweise spielte er sogar irgendeine Rolle im politischen Leben des Dorfs; jedenfalls schien er nicht bereit, das Leben des Dorfrichters aufs Spiel setzen zu wollen, und rief seine Männer von Aristophanes zurück. Der Sohn des Philippos
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