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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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mittlerweile den Krähen des südöstlichen Sizilien als karge Kost – karg deshalb, weil zehn von ihnen verhungert waren. Die zu jenem Zeitpunkt verbliebenen fünf waren schon so weit gewesen, sich selbst aufzugeben, als sie eine am Berghang laufende Ziege erblickt hatten. Nachdem sie ihre letzten Kraftreserven damit verbraucht hatten, das Tier in die Enge zu treiben, töteten und aßen sie die Ziege; doch wurden sie von den dortigen Ziegenhirten entdeckt, die in das nahegelegene Dorf rannten, wo sich gerade ein Spähtrupp der syrakusischen Reiterei von einem üppigen Mahl ausruhte. Daraufhin kamen die Reiter den Berg heraufgedonnert und brachten zwei der fünf Athener um, da diese beiden offenbar zuviel auf leeren Magen gegessen hatten und sich deshalb nicht mehr rühren konnten. Doch die übrigen drei hatten sich zur Wehr gesetzt und die Reiter mit Steinen und den bloßen Händen vertrieben und waren dann um ihr Leben gelaufen. Jetzt wußten sie nicht einmal, wo sie sich befanden, und hatten wieder rasenden Hunger. Außerdem waren sie sich sicher, von der Reiterei verfolgt und in den nächsten paar Stunden eingeholt zu werden. Deshalb dankten sie uns unter Tränen für das Essen und unsere Gesellschaft, drängten uns aber, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.
    Ich war dafür, aber Aristophanes wollte nichts davon hören. Meiner Vermutung nach war er zu dem Schluß gekommen, daß es ruhmvoll sei, das Leben seiner Mitbürger zu retten, die das Glück gehabt hatten, sich in ihrer Stunde der Prüfung in seinen Schutz zu begeben. Er kam sich, wie ich Ihnen ja schon berichtet habe, ausgesprochen großartig vor und betrachtete mittlerweile diese ganze Flucht durch Sizilien für einen Mann mit seiner Intelligenz und seinen Fähigkeiten als erbärmlich einfach. Er verkündete den dreien, daß er sie jetzt keinesfalls im Stich lassen, sondern wohlbehalten nach Catina bringen werde, wenn sie sich nur genau daran hielten, was er ihnen sage. Für einen Augenblick starrten sie ihn verblüfft an, dann, umklammerten sie seine Knie und bezeichneten ihn als ihren Retter – eine Szene, die ich äußerst widerwärtig fand.
    Natürlich hatte der Schwachkopf nicht die geringste Spur eines Schlachtplans im Kopf, aber er dachte nicht im Traum daran, dies seinen Verehrern einzugestehen. Statt dessen befahl er ihnen, die Rüstungen abzulegen und zu vergraben, was die drei auch mit äußerster Gewissenhaftigkeit taten. Schließlich suche der Feind nach drei Männern in Rüstungen, nicht aber nach fünf Zivilisten mit einem Maultier, begründete Aristophanes seine Anweisung, während die drei das Erdloch wieder zuschütteten. Unsere neuen Weggefährten schienen das für eine taktische Meisterleistung zu halten, die allenfalls dem berühmten Palamedes würdig war.
    Jedenfalls ging kurze Zeit später die Sonne unter, und Aristophanes führte sein kleines Heer aus dem Gehölz hinaus. Mittlerweile hatte er sich einen Plan ausgedacht, wie er schlimmer nicht hätte sein können. Wie Aristophanes nur zu gut wußte, macht in Athen jeder vernünftige Mensch einen weiten Bogen um eine Horde Betrunkener. Kein besserer Ausweg aus unseren Schwierigkeiten biete sich uns demnach an, als einen Haufen betrunkener Nachtschwärmer zu spielen, der nach einem schweren, bei irgendeinem abgelegenen Heiligtum durchzechten Tag nach Hause torkelte. Dazu bräuchten wir lediglich ein paar Requisiten – einige Weinkrüge, ein oder zwei Kränze und vielleicht eine Fackel aus Kiefernholz, um sie jedem, der unseren Weg kreuzte, unter die Nase zu halten –, und die könnten wir unterwegs irgendwo aufsammeln oder behelfsmäßig herstellen. Das wahrhaft Überragende an diesem Plan beruhte – Aristophanes zufolge – auf der Tatsache, daß es zwar schwierig ist, einen fremden Dialekt überzeugend zu sprechen, aber sehr viel einfacher, ihn zu singen, insbesondere wenn man ihn wie ein Betrunkener grölt.
    Da waren wir also – fünf verzweifelte Flüchtlinge, die das einzige dorische Lied sangen, das sie kannten (die Hymne des korinthischen Dichters Eumelos an Apollon), während sie durch die sizilianische Landschaft taumelten und sich zu erinnern versuchten, wie es war, betrunken zu sein. Nun bin ich ein ehrlicher Mensch und will niemandem die verdiente Anerkennung versagen, selbst wenn sie einem Schwachkopf gebührt, und deshalb muß ich Ihnen wahrheitsgemäß mitteilen, daß wir die verschiedenen Reisenden, die uns über den Weg liefen, ganz offensichtlich

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