Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
verhielt, und ich wußte nicht, wie ich mich mit ihm unterhalten sollte.
»Ich freue mich natürlich, dich zu sehen«, fuhr er fort. »Aber erzähl mal, wie geht’s im Krieg voran?«
»Der Krieg ist vorbei.«
Philonides strahlte übers ganze Gesicht. »Ganz und gar vorbei? Ich wußte doch gleich, daß wir uns auf Demosthenes verlassen können, um ihn schnell zu beenden. Er ist schon ein Prachtkerl, dieser Demosthenes, egal, was man in den Bädern über ihn sagt.«
»Wir haben verloren, und Demosthenes ist tot.«
»Tot?«
»Ja, tot.«
»Alle Götter!« seufzte Philonides, und er schien dabei wie ein durchlöcherter Weinschlauch in sich zusammenzusacken. »Also hat Nikias die alleinige Führung des Heers übernommen, oder?«
»Nikias ist auch tot.«
»Nikias auch?« Philonides starrte mich entsetzt an. »Aber so was gibt’s doch gar nicht!«
»Doch, das gibt’s.«
»Und wer um alles in der Welt ist jetzt für das Heer verantwortlich? Doch wohl nicht dieser minderbemittelte Menander, oder? Das könnte ich nicht ertragen. Oder etwa Eurymedon? Der Mann ist genauso geisteskrank!«
»Es gibt kein Heer mehr.«
»Wie bitte?«
»Schau mir auf die Lippen«, forderte ich ihn auf. »Es gibt kein Heer mehr. Hast du’s? Alle sind tot. Alle, mit Ausnahme von vielleicht zwei-, dreihundert Leuten.«
Für einen Augenblick verweigerte sein Verstand den Dienst, dann glaubte er mir. »Alle?«
»Alle.«
»Aber was ist mit der Flotte?« wollte er wissen. »Wo ist die Flotte?«
Ich lächelte, warum, weiß ich auch nicht, und antwortete: »Auf dem Grund im Hafen von Syrakus. Jedenfalls das meiste davon.«
Eine Weile stand er nur da, völlig leer, nur noch eine Hülle von Mensch, ein Mensch ohne jeden Inhalt. Sein Mund stand weit offen, und mir fiel auf, daß er für einen Mann seines Alters sehr weiße und gerade Zähne hatte. Ihm fiel daraufhin offensichtlich nichts mehr ein, und deshalb hielt ich es nun für angebracht, das Gespräch meinerseits weiterzuführen.
»Ich hatte Glück. Mit ist es nämlich gelungen, zusammen mit Aristophanes nach Catina zu fliehen. Wie ich ihn kenne, ist er wahrscheinlich längst zu Hause und besäuft sich. Geh doch zu ihm und frag ihn, wenn du mir nicht glaubst. Wie geht es eigentlich mit seinem Stück voran? Ich meine das Stück, das er dir vor seiner Abreise übergeben hat.«
»Das ist doch jetzt zweitrangig.«
»Zweitrangig?«
»Ja.«
»Ach so, ich verstehe.«
»Du meinst wirklich alle? Das gesamte Heer?«
»Ja.«
Eine ganze Weile standen wir nur schweigend da; es gab nichts, was uns zur Eile drängte. Dann sagte Philonides: »Hast du dem Rat schon davon berichtet?«
»Nein, ich wollte erst nach Hause. Ich muß mich dringend waschen und rasieren.«
»Das kann warten. Hör mal, mein Neffe Palaiologos ist Ratsmitglied, wir sollten ihn lieber vorher davon unterrichten.«
»Wenn du meinst«, willigte ich achselzuckend ein. »Sollten wir vorher nicht besser Aristophanes holen, damit er meine Aussage bestätigen kann?«
»Gute Idee«, stimmte Philonides zu. Er war furchtbar aufgeregt und sprach sehr schnell; dadurch, daß er sich diese Aufgabe zu eigen gemacht hatte, kam er mit sich selbst und damit, was er gerade gehört hatte, wieder besser zurecht. »Paß auf, mein Haus liegt auf dem Weg zu meinem Neffen. Ich werde den Hausburschen zu Aristophanes schicken – bist du auch sicher, daß er wirklich zu Hause ist?«
»Nein. Er hat nichts davon gesagt, wo er genau hingehen will.«
»Ist auch egal. Wir werden den Jungen auf jeden Fall losschicken und danach zu Palaiologos’ Haus gehen.«
Und das taten wir dann auch. Ich empfand die ganze Situation im weitesten Sinne eher als komisch. Wenn unser Heer jetzt geschlagen war, machte ich mir klar, dann wäre es wahrscheinlich noch immer geschlagen, nachdem ich mich gewaschen und rasiert hätte, und zudem sprach alles dafür, daß es selbst dann noch geschlagen geblieben wäre, nachdem ich etwas gegessen hätte. Aber ich wollte mich diesbezüglich gegenüber Philonides nicht äußern, weil ich das Gefühl hatte, er könnte sich darüber aufregen.
Das Ratsmitglied Palaiologos war von unserem Anblick nicht sonderlich erfreut; er war die Nacht zuvor erst spät ins Bett gekommen und hatte noch einen Kater. Ich schlug vor, unter diesen Umständen lieber etwas später wiederzukommen, doch Philonides schnitt mir das Wort ab und sagte seinem Neffen, er habe schreckliche Neuigkeiten. Ich widersprach ihm und stellte klar, daß ich derjenige
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