Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
Ich war mit dem Heer in Sizilien und bin gerade erst zurückgekommen.«
Kleagenes warf mir einen eigenartigen Blick zu. »Willst du schon zu so früher Stunde einen alten Bekannten auf den Arm nehmen, Eupolis? Das Heer ist doch noch gar nicht zurückgekehrt!«
Noch gar nicht zurückgekehrt? »Glaub mir, Kleagenes, ich bin wirklich in Sizilien gewesen«, versicherte ich ihm in ernstem Ton.
Er runzelte die Stirn. »Bist du denn mit einer Nachricht für den Rat oder mit einem Brief von Nikias oder mit irgend etwas anderem in dieser Art zurückgekommen? Wenn ja, dann solltest du lieber…«
»Von Nikias?« unterbrach ich ihn. »Nikias ist tot.«
»Tot?«
»Tot.«
Kleagenes dachte eine Weile darüber nach, dann antwortete er: »Das ist nun wirklich nicht mehr witzig, Eupolis. Vermutlich kommst du gerade von einer Feier, auf der du dich mit einigen deiner ganz speziellen Freunde betrunken hast, und bist gerade auf dem Nachhauseweg. Hör dir meinen Rat an, mein Freund. Geh lieber nach Hause und schlaf dich erst mal aus, bevor du versehentlich jemanden beleidigst, der dir das übelnehmen könnte. Bedenke, daß einige Leute ihre Söhne im Krieg haben.«
Ohne sich zu verabschieden, eilte Kleagenes davon und ließ mich mit vor Staunen offenem Mund allein zurück. Aber durch blödes Glotzen erreicht man nichts (pflegte mein Großvater zu sagen), und deshalb setzte ich meinen Weg bis in die Stadt und zu meinem Haus fort. Nachdem ich durch das Stadttor gekommen war, sah ich in den Straßen zwar einige Leute, die schon so früh auf den Beinen waren, traute mich aber nicht, jemanden anzusprechen. Irgend etwas sagte mir, daß es für mich zu diesem Zeitpunkt am besten wäre, den Kopf nach unten zu halten, bis ich herausgefunden hätte, was sich hier eigentlich abspielte.
Natürlich konnte man sich das rational leicht erklären. Die Nachricht von der Katastrophe war noch nicht bis in die Stadt vorgedrungen. Das war allerdings schwer vorstellbar, denn irgendeine Amtsperson aus Catina mußte längst einen Brief oder so etwas geschickt haben. Aber vielleicht hatte irgendwer die Entscheidung jemand anderem überlassen, der die Angelegenheit hinauszögerte, oder die Nachricht war noch unterwegs. Womöglich war das Schiff, mit dem sie überbracht werden sollte, aber auch gesunken oder hatte bei Methana eine Zwischenstation gemacht, um seiner eigentlichen Bestimmung nachzugehen.
Dann kam mir der Gedanke, daß, falls ich recht behalten sollte, der Sohn des Philippos und ich die einzigen Menschen in ganz Athen waren, die vom Untergang der Flotte wußten, und das war eine alles andere als angenehme Vorstellung. Jetzt war es eindeutig meine Pflicht (auf Aristophanes konnte ich mich nicht verlassen, daß er diesbezüglich irgend etwas Nützliches unternahm), mich an jemanden zu wenden – zum Beispiel an den Polemarchen und den Rat –, um ihn davon in Kenntnis zu setzen. Aber würde man mir Glauben schenken? Natürlich nicht. Kleagenes, der Kornhändler, hatte mir schon nicht geglaubt, warum sollte mir also der Polemarch glauben? Wahrscheinlich fände ich mich wegen Volksverhetzung oder so etwas gleich darauf im Gefängnis wieder.
Andererseits konnte ich nicht einfach nach Hause gehen, Hut und Umhang ablegen und so tun, als wäre ich nie fort gewesen. Ganz unabhängig vom Schicksal der Stadt, die jetzt vollkommen wehrlos und einzig und allein der Gnade der Spartaner ausgesetzt war (die zweifellos davon wußten), ging es um meinen Seelenfrieden. Vielleicht sollte ich jemand anderen einweihen, der den Rat an meiner Stelle unterrichten könnte; jemanden, den man anhören würde.
Während ich mit diesen Gedanken im Kopf weiterging, klopfte mir ein Mann auf die Schulter und schrie mir ins Ohr: »Bist du das etwa?«
Ich drehte mich um und blickte ihn an. Es war Philonides, der Chorleiter. Ich sagte nichts.
»Eupolis! Ich dachte, du seist irgendwo im Krieg.«
»Das war ich auch«, antwortete ich.
»Und wann bist du zurückgekommen?«
»Gerade eben.«
»Heute morgen?«
»Ja.«
Er musterte mich argwöhnisch; normalerweise war er nicht so wortkarg, und er hielt mich wahrscheinlich für krank oder verletzt. »Bist du etwa verwundet worden und deshalb vorzeitig zurückgekehrt?« erkundigte er sich behutsam.
»Nein, mir geht’s gut.«
»Was machst du dann in Athen?«
Ich empfand die Situation als äußerst merkwürdig. Da stand vor mir ein Mann, den ich recht gut kannte und der sich mir gegenüber auf ganz normale Weise freundlich
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