Wallenstein (German Edition)
wüßten; vor wem doch?
Zu aller Schrecken befahl er in der Tat noch am Abend, und der ernste straffe Rittmeister Neumann verbreitete sehr geheim den Befehl, zu packen, was man Wertes und Wichtiges besäße. Die weitere Dienerschaft wurde nicht benachrichtigt. Von Tag zu Tag fuhren nun unauffällig ein zwei Wagen stark bedeckt aus dem Palasthofe. Nach Mähren, hieß es. Nach einigen Wochen war eines späten dunklen Winterabends der Herzog mit seinem Anhang abgereist. Dies war, während der Schwede in Kurmainz thronte, zwei Tage vor dem Einfall Arnims mit den sächsischen Truppen in Böhmen.
Denn unter dem maßlosen Wehegeschrei der Landbevölkerung trieben schon die Sachsen Arnims heran. Marradas stand als Oberkommandierender in Prag; Wallenstein hatte ihm noch, als die Gefahr sichtbar geworden war, achselzuckend geraten, Widerstand zu leisten. Aber bei dem rasenden Tempo des Anmarsches war kein Widerstand möglich. Plötzlich, als wenn sie einen Traum erlebten, sahen die Böhmen die Kaiserlichen aus der Hauptstadt flüchten; tags drauf scholl der Gesang der Sachsen auf dem Altstädter Ring, vor der Teynkirche.
Auf den Zinnen des Altstädter Brückentors ragten an Stangen und Spießen verdorrte Menschenköpfe, denen die Rümpfe abgeschlagen waren. Sie hießen, als sie noch lebten, Kaplíř, Budowetz, Dvořecký, Bila, Otto von Los, Valentin Kochan, Tobias Šteffek, Michalowitz, Kober, Haunschild, Jessenius. An diesem Freudentag der Sachsen war den Finken kein Spaß bereitet; ihre Nester in den Mündern und auf den Köpfen der Rebellen wurden zerstört. Prächtige Särge wurden gefertigt. Hinein wurden gelegt die Köpfe samt den Stangen, auf denen sie gesteckt waren und die ihnen in der langen Zeit zum zweiten Leib geworden waren. Aus der blendenden Helle gingen die müden Gesichter in die stillen Kammern unter der Erde.
Plötzlich war die Schlacht am Weißen Berge – nicht geschlagen.
Plötzlich war das Land – frei.
Der Gouverneur flüchtig.
Friedland, der Hauptverbrecher, flüchtig.
Die Bürger liefen aus den Häusern, besahen sich den Ring, liefen auf die Brücke. Sie stand, wie sie stand, die Köpfe waren weg. Sollte man sich freuen? Und vor der königlichen Burg stand eine unwahrscheinliche Gestalt, von der man sich erzählte, an die man nicht mehr glaubte: der weißbärtige Graf Thurn. Stand da im Getümmel johlender frenetischer Böhmen auf dem wasserflutenden Hradschinplatz unter den verhängten Fenstern der Burg, die Libussa und Wladislaus gebaut hatten. Die Schutztürme Daliborka und Mihulka; Matthias, der Kaiser, Rudolf, der Kaiser, wohnten nicht mehr hier; wohnte der blinde Hund Ferdinand, der Idiot, noch in Wien? In den kaiserlichen Zimmern hauste der Böhme Thurn und der schützende sächsische Feldmarschall Arnim von Boitzenburg. In dem erstickenden Jubel dieser Wintertage wurden die Türen der Geheimkonventikel gesprengt, die Träger der alten gefeierten Namen rannten auf die Gassen und Plätze; ungeheure Umzüge spontan wachsend in allen Stadtteilen. Sie stiegen in glorreichen Gedanken vor die Staatskanzlei, wehten unter Gebrüll und Gesang die alten Fahnen, vor sich die Fenster der Landtagsstube, aus denen von den Männern der Befreiung die Verräter Martinitz Slawata Fabricius in die Wallgrube geworfen waren. Im Wladislaussaal, im alten Huldigungssaal der Burg, standen sie vor Thurn und faßten es nicht. Einmal stürzte ein tumultuarischer Zug in den Veitsdom, marschierte hüte- und waffenschwenkend in die reiche Wenzelskapelle; ein Priester aus ihrem Haufen griff nach dem Bronzering an der Kapellentür. Sich biegend vor Hingerissenheit jubelte er weitäugig; an diesem Ring hatte sich ihr Wenzel sterbend und unverzagt in Altbunzlau gehalten. Schon wollten die lüsternen und rachedurstigen Massen in der Stadt und auf den Ländereien plündern. Da besetzte Arnim eine Anzahl der verlassenen Häuser und Schlösser; die friedländischen zuerst; seine Söldner patrouillierten mit Pike und Muskete die Straßen ab. Erschießungen von Plünderern fanden statt.
Ein Schreck fuhr in die Menge. Graf Thurn suchte besänftigend einzugreifen. Die Adligen, ihr wirres Gefolge bezichtigten ihn des Verrats, weil er nicht den Sturm auf die Häuser der Kaiserlichen befahl. Man hatte ein Recht, Rache zu üben. Er wies auf die Sachsen hin, die es nicht dulden wollten. Nicht die Böhmen hatten das Land erobert. Sie verlangten sofortige Berufung und Bewaffnung der Emigranten und Verjagten aus Sachsen, Herstellung
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