Wallentin, Jan
der
Tastatur aufgestiegen, die über seine Finger in den Brustkorb hin ausstrahlte.
Doch als
das lächelnde Gesicht ausgeblendet wurde, und er in den gespiegelten Desktop
der Schwester gelangte, sah nichts mehr so aus wie sonst. Statt einem fest
installierten Vista Desktop war lediglich ein schwarzer Bildschirm zu sehen,
auf dem ein einsamer weißer Cursor vor einem pfeilförmigen Zeichen blinkte:
>_
Seine
Zunge war trocken, als Don nach Geräuschen außerhalb des Waggons horchte. Doch
er hörte nur das Lärmen von Trucks und rufende Stimmen vom kürzlich
eingefahrenen Güterzug, der gerade ausgeladen wurde.
Er begann
eine neue Zeile und formulierte eine erste Frage:
> Jemand zu
Hause?_
Der
senkrecht stehende Cursor blinkte weiter in seinem langsamen Rhythmus.
Schließlich schrieb Don ungeduldig eine weitere Zeile:
>Jemand
zu Hause? >Sarah? Hex?_
In einem
Keller in Kymlinge führte jemand einen Zeilen Wechsel durch.
Dann konnte er die Buchstaben einen nach dem anderen aufblinken sehen:
>Keine
Zeit, es_
Der Cursor
blieb stehen, pulsierte.
Es dauerte
fast zehn Minuten, bis die Schwester zurückkam:
>Jetzt
besser, was_
Er begann
zu schreiben:
>Du
musst den Güterwaggon wegfahren, Eva ist weg_
Dieses Mal
wuchs der Dialog schneller:
>Jemand
anderes im System, komme nicht ran
>Wer?
>Weiß
nicht, geschickt
>Wir
müssen Eva helfen
>
Hinterließ eine
>Wir
haben Strindbergs Stern gefunden
>_
Der
blinkende Cursor: Dann schrieb die Schwester in Kymlinge:
> Ich weiß,
dass ihr den Stern gefunden habt_
Dons Zunge
fuhr schabend in seinem trockenen Mund umher. Dann riss er sich zusammen und
schrieb ein einziges Zeichen:
>?_
Doch Hex
war verschwunden.
Als die
Schwester nach einer halben Stunde immer noch nichts von sich hören ließ,
spürte Don, dass seine Hände schmerzten. Er schaute hinunter und sah, dass sich
seine Finger zu festen Fäusten geballt hatten, die jeglichen Blutfluss
unterbanden.
Er
versuchte langsam, den krampfhaften Griff zu lockern, und während er damit
beschäftigt war, meinte er draußen vor dem Waggon ein leises Rascheln zu
vernehmen. Dann wurde es still, bis schließlich jemand leicht gegen die
Metallwand klopfte.
Don
stierte wie erstarrt auf seine Finger hinunter. Wartete, hielt die Luft an.
Daraufhin hörte er Schritte, die sich knirschend über den Schotter entfernten.
Als Don
langsam seinen Blick auf den Bildschirm richtete, sah er, dass sich jetzt eine
wild flimmernde Buchstabenzeile auf dem schwarzen Hintergrund geformt hatte:
>Don.
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Mittelpunkt der Welt
An einem
nebligen Tag im November war die Sache entschieden worden.
Die alte
Burg aus dem siebzehnten Jahrhundert in der kleinen westfälischen Stadt
Wewelsburg würde von der SS übernommen und zum rituellen Hauptquartier der
Schutzstaffel umgewandelt werden. Den Plänen zufolge sollte der Nordturm der
Burg die zentrale Nabe in einer zukünftigen nazidominierten Welt bilden. Das
Projekt wurde »Mittelpunkt der Welt« genannt.
Man hätte
meinen können, dass eine so bedeutsame Entscheidung vom Reichsführer der SS
selbst, von Heinrich Himmler gefällt werden würde. Doch stattdessen wurde sie
von einer anderen, allem Anschein nach noch wahnwitzigeren Person forciert.
Als Chef
der SS und Gestapo war Heinrich Himmler der Schattenfürst des deutschen
Dritten Reichs. Seiner Verantwortung unterlag die Rassen- und ideologische
Kontrolle, und seine Männer mussten dafür sorgen, dass die Ofen der
Konzentrationslager am Brennen gehalten wurden.
Außer
dieser formellen Macht besaß Himmler eine gefürchtete Kartei, die
Hunderttausende von Personalakten beinhaltete. In ihnen wurden alle dunklen
Geheimnisse verwahrt, die jeden beliebigen Nazi in tiefstes Unglück stürzen
konnten. Mit dieser Macht über seine Konkurrenten musste er sich lediglich vor
Adolf Hitler verantworten. Gegen Ende des Krieges war es allerdings zweifelhaft,
ob Himmler die Machtverhältnisse tatsächlich in dieser Form wahrnahm.
Als Kind
war Himmler schmächtig und schwach gewesen. Sein Gleichgewichtssinn war so
wenig ausgeprägt, dass er niemals Fahrradfahren lernte. Außerdem hatte er
Probleme mit der Luftröhre, was dazu führte, dass seine Stimme schrill war und
sich oftmals mit einem krächzenden Geräusch überschlug. Aufgrund seines kränklichen
Körpers wurde er zu einem beharrlichen Bücherwurm mit
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