Wallentin, Jan
einer Vorliebe für
germanische Mythen und Sagen. Noch als Erwachsener betrachtete Himmler sie bis
in jede Silbe und jedes Wort hinein als wahre Überlieferungen. Überall in
diesen Legenden meinte er Spuren einer uralten arischen Zivilisation erkennen
zu können. Er ging davon aus, dass sie ihren Ursprung im einstigen Atlantis
hatte, das trotz seiner fortschrittlichen Technologie im Nordatlantik versunken
war.
Nach dem
Wahlsieg der Nationalsozialisten 1933 begann der Führer der SS nach einem
würdigen Ort zu suchen, an dem er seine Theorien vermitteln konnte. Er wollte
eine SS-Hochschule gründen, an der die Hauptfächer Germanische Mythologie,
Archäologie und Astronomie gelehrt würden.
Zu dieser
Zeit tauchte in Himmlers Büro in Berlin wie aus dem Nichts ein älterer Mann
auf. Er stellte sich als Karl Maria Wiligut vor. Er würde schon bald eine
entscheidende Rolle spielen.
Natürlich
versuchte Himmler seine Herkunft zu untersuchen, doch das Einzige, was der
SS-Mann herausfand, war, dass Wiligut wohlhabend war und einflussreiche
Kontakte innerhalb der deutschen sowie internationalen Waffenindustrie besaß.
Doch was Himmler wirklich imponierte war Wiliguts Behauptung, dass seine
arischen Blutsbande mehr als 220 000 Jahre
zurückreichten. Ein gewöhnlicher SS-Offizier musste lediglich den Nachweis über
eine Zurückverfolgung seiner Herkunft bis 1750 erbringen, was in diesem
Zusammenhang wie eine Kleinigkeit erschien, weniger als zweihundert Jahre.
Karl Maria
Wiligut behauptete, in direkt absteigender Folge mit dem altnordischen Gott
Thor verwandt zu sein. Um diese Behauptung zu beweisen, versetzte er sich in
einen tranceähnlichen Zustand, in dem er Kontakt zum »Gedächtnis seiner
arischen Ahnen« aufnahm. Aus diesem Wissensvorrat gab Wiligut die wahre Geschichte
der Arier wieder. Himmler war anfänglich verblüfft, doch nach einigen Stunden
hatte sich sein Erstaunen in verzückten Enthusiasmus verwandelt.
Wiligut
zufolge begann die Weltgeschichte vor 228 000 Jahren. Die Bevölkerung bestand
zu jener Zeit aus Zwergen, Riesen und Drachen, und über der Erde standen immer
noch drei Sonnen. Die göttlichen Arier existierten natürlich auch, und zwar
unter der Leitung von Wiliguts Familie.
Durch die
Jahrtausende hindurch, so berichtete Wiligut in seinem tranceähnlichen
Zustand, hatten die Arier all das geschaffen, was von Bedeutung war. Das
Christentum zum Beispiel war germanischen Ursprungs, jedoch von jüdischen
Ausbeutern entstellt worden. Jesus war in Wirklichkeit der arische Gott Balder,
der irgendwann in grauer Vorzeit in den Mittleren Osten floh.
Ausgehend
von dieser und weiteren bizarren Geschichten, ernannte Himmler Wiligut zum
Generalmajor der SS, betraute ihn mit einem Chefposten in der Abteilung des
Ahnenerbe für Vor- und Frühgeschichte in München und stellte ihm eine
Privatvilla mit Haushaltspersonal in Berlin zur Verfügung.
Wiliguts
Hauptaufgabe bestand darin, seine Ahnenerinnerungen zu Papier zu bringen. Doch
er beschäftigte sich lieber mit der Vermittlung von Verteidigungsanlagen und
schickte Himmler ständig neue Vorschläge für Bauprojekte. Das Hauptinteresse
Wiliguts bestand darin, eine gewaltige SS-Burg in Westfalen zu errichten, von
der er behauptete, dass sie notwendig sei, um den bevorstehenden Zusammenstoß
mit den Untermenschen aus dem Osten zu parieren. Er erklärte, seine Ahnen
hätten die Burg in Wewelsburg als perfekten Ort ausgewiesen. Der Boden dort sei
durchzogen von arischen Energielinien, die starke psychische Energie
ausstrahlten.
Im
November 1933 begleitete Himmler Wiligut auf eine Reise durch die nasskalten
Wälder Westfalens. Der alte Mann zeigte ihm die Wewelsburg, die trutzig auf
einem Kalksteinfelsen oberhalb der Stadt gleichen Namens thronte. Das Gemäuer
der Burg aus dem siebzehnten Jahrhundert war in einem keilförmigen Dreieck
errichtet. Drei Türme ragten in den germanischen Herbsthimmel, und Wiligut
befand, dass hier und nirgendwo anders der Ort für das rituelle Hauptquartier
der Schutzstaffel errichtet werden sollte.
Heinrich
Himmler widerstrebte anfänglich: Westfalen lag weit entfernt von Berlin, dem
politischen Machtzentrum. Doch Wiligut überredete ihn, indem er ihm
anvertraute, wie er in einer Vision gesehen hatte, dass die slawischen
Untermenschen genau an diesem Ort geschlagen werden. Er hatte sogar ein Bündel
Manuskripte in einer abgegriffenen Ledermappe bei sich, in denen stand, dass
die Schlacht in den 40er Jahren stattfinden würde.
Weitere Kostenlose Bücher