Wallentin, Jan
flatterndes Plastikband
schirmte den überwiegenden Teil des abschüssigen Geländes um den Schacht herum
ab. An der Kante des Lochs standen ein halbes Dutzend Polizisten und einige
Feuerwehrmänner, die in eine chaotische Diskussion darüber vertieft zu sein
schienen, was man als Nächstes zu tun hatte.
Hinter
ihnen saß eine einsame Gestalt auf einem Steinblock. Die Scheinwerfer, die die
Rettungsmannschaft etwas entfernt auf den Schacht gerichtet hatten, ließen
seinen schwarzen Taucheranzug glänzen. Die Haube hatte er abgenommen, das grob
geschnittene Gesicht war gerötet und etwas aufgeschwemmt, und seine Augen
erschienen dem Praktikanten wie offene Wunden, als sie sich auf ihn hefteten.
Der
Fotograf versetzte ihm einen Knuff in die Seite, woraufhin der Praktikant allen
Mut zusammennahm, sich bückte und unter dem Plastikband hindurchglitt.
»Sie sind
derjenige, der sie gefunden hat, oder?«
Anfänglich
schien es, als hätte der Taucher die Frage nicht gehört. Er saß einfach nur
still da und schaute auf seine großen Hände, doch dann nickte er steif.
»Was ist
denn da unten geschehen?«, fragte der Praktikant flüsternd, während er zu den
Polizisten hinüberschielte.
»Etwas ...
etwas absolut Schreckliches, glaube ich«, antwortete der Taucher.
Der
Praktikant sah vor seinem inneren Auge einen nackten Körper, ein junges
Mädchen, das zu Boden gestoßen in der klaustrophobischen Dunkelheit dort unten
lag. Seine Atmung wurde automatisch schneller.
»Und ...
wie alt war sie?«
»Wie alt?
Tja, was weiß ich.«
Der Taucher
blinzelte unsicher, als sich ihre Blicke begegneten.
»Ihr
Körper fühlte sich an wie der eines kleinen Mädchens. Ganz weich, so, als würde
sie noch leben. Und sie wog auch eigentlich nicht viel. Es war nur so, dass ich
ausgerutscht bin, als ich sie anhob, und dann lag sie plötzlich über mir. Sie
hatte etwas an ...«
»Wie sah
sie aus, hatte sie irgendwelche Verletzungen?«
»Langes
Haar ...«
Der
Taucher fuchtelte mit der Hand und versuchte, es zu zeigen.
»Vor ihrem
Gesicht war ein ziemliches Wirrwarr von Haaren. Ich hab danach gegriffen, weil
ich dachte, es wären eine Menge loser Fäden.«
»Aber
hatte sie denn irgendwelche Verletzungen?«
»Ja, ja!
Oberhalb der Augen klaffte so etwas wie ein Loch ... es war ...«
Eine
Kamera blitzte auf, der Fotograf hatte sich in ein paar Metern Entfernung
hingehockt. Zum ersten Mal sah der Taucher den Praktikanten jetzt mit einem
gewissen Interesse an, während es in seinem Mundwinkel zuckte.
»Sagen Sie
mal ... kommt das hier in die Zeitung?«
In der
Redaktion war es dem Nachrichtenchef gerade gelungen, sein Headset aus einem
Wust von Gegenständen in seiner Schreibtischschublade herauszufischen,
woraufhin er mit beiden Händen begann, das Zitat des Praktikanten in seinen
Computer einzutippen.
AKTUELL:
SEXMORD IM BERGWERKSSCHACHT
Die Worte
des Tauchers
»Nur im
Dalakurir, können Sie hinzufügen«, sagte der Praktikant, denn er sah gerade,
wie die Polizisten den kräftig gebauten Taucher in den Wald führten. Die
Rettungskräfte folgten ihnen mit herabhängenden Tragen.
Dann
begann eine Zeit des zufriedenen Wartens. Der Dalakurir war nicht nur der Erste
gewesen, sondern auch am weitesten gekommen.
Der
Praktikant und sein Fotograf hatten sich am Stamm einer Kiefer niedergelassen,
wo sie immer dichter zusammenrutschten, um sich vor der Abendkälte zu
schützen. In der Zwischenzeit versammelten sich eine Reihe anderer Teams in
der Dunkelheit. Sveriges Radio und TT waren vor Ort, die Abendzeitungen
natürlich, und unter den Scheinwerfern hatten TV4 und das staatliche Fernsehen
ihre Kameras und Stative aufgebaut. In regelmäßigen Abständen nahmen die
Reporter Kontakt zum Einsatzleiter der Bergungsaktion am stinkenden Loch auf,
um ihre Berichte zu aktualisieren, doch die Auskünfte variierten von Mal zu Mal.
Anfänglich
sollte ein lokaler Sporttauchklub dabei helfen, die Ermordete aus dem Schacht
zu bergen. Doch dann wurde der Auftrag an die Taucher der Küstenwache in
Härnösand weitergeleitet. Gegen halb acht jedoch hatte offensichtlich ein hoher
Beamter in Stockholm zufällig seinen Fernseher eingeschaltet, denn plötzlich
sollte eine Spezialeinheit des Nationalen Einsatzkommandos das Problem lösen.
Trotz der Tatsache, dass die Stockholmer einen Helikopter angefordert hatten,
dauerte es gute drei Stunden, bevor sie vor Ort eintrafen. Da war es bereits
nach elf Uhr abends. Und bis dahin, also den
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